Er hat die ganze Stadt durchstreift — Über Einsamkeit und Suche

Manch einer kennt vielleicht das Gefühl, das einen treibt, wenn man stundenlang durch die Stadt streift, ziellos, und doch auf der Suche. Man läuft und läuft, weiß gar nicht so recht, wohin, was man vermisst. Was einem fehlt, um die Ruhe zu finden, die man irgendwie verloren hat.

Das Gedicht „Er hat die ganze Stadt durchstreift“, handelt von einem solchen Gefühl. Das lyrische Ich sucht zwar etwas konkretes, aber eigentlich mehr in sich selbst. Er hat etwas in sich verloren. Und er ist einsam.

 

Ein Blatt
vor ihm
auf dem Boden.
Er hebt es auf.
„Ich sehe sie nicht“
sagte er.
Er geht
zwei Schritte
zwei Steine.
Fenster
Licht
leichter Wind
in den Straßen.
„Ich sehe sie nicht“
sagt er.
Es ist schon dunkel
die Farben des Herbstes
sie werden schon zugedeckt.
Die Kälte der Nacht
„Ich sehe sie nicht“
seit wann
wie lange
sucht er
sieht er nicht
vermisst er.
Unruhe
in den Schritten
Unruhe
in den Straßen
„Ich sehe sie nicht“
Er geht
Weiter, immer weiter.
Die ganze Nacht
den ganzen Wind
gegen seine Brust
geht er.

Er hat die ganze Stadt durchstreift.

Caroline Schleibinger, 31. Januar 2007, 23.45 Uhr

 

Musikvorschlag: Irgendwann bin ich einmal nach Hause gelaufen (ich laufe immer irgendwie nach Hause, weil die U-Bahn nicht mehr fährt, weil mein Fahrrad kaputt ist oder irgendwo steht, nur nicht da, wo ich bin), wollte aber eigentlich gar nicht nach Hause. Und so bin ich ein wenig in der stockfinsteren Nacht und der hell erleuchteten Stadt herumgeirrt, und auf einmal spielte mein mp3-Player La Dispute und Sur le Fil aus Die fabelhafte Welt der Amélie Poulain, und der Augenblick war perfekt.

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