Call me Drella, Samstag Nacht

Manchmal packt es mich, dann muss ich zu einem Stift greifen, dann habe ich das Verlangen, etwas aufzuschreiben, jetzt, sofort, weil ich es jetzt muss, weil ich es vergessen würde und niemals so präzise wieder aufschreiben könnte. Der Stift ist dann meist nur geliehen, das Papier ein Stück Zewa oder, wenn es gut läuft, ein Blatt aus einem Kellner-Block.
Das ist oftmals nachts, in Clubs, wenn ich ausnahmsweise kein Notizbuch dabeihabe, wenn ich mir von einem Barkeeper einen Kugelschreiber besorgen muss und hastig im Halbdunklen, auf einem nassen Tresen etwas auf eine Serviette kritzle. Aber es geht nicht anders, das ist ein brennendes Bedürfnis. Ich habe hier schon einmal einen solchen Text veröffentlicht, es ist etwa zwei Jahre her, der Text heißt Nachtsichten. Das passiert mir ab und zu, aber nicht immer sind die Texte gut, die dabei herauskommen. Oft nur verzweifelt über die Welt, und am nächsten Morgen scheint die Sonne und ich denke mir, ist doch alles gar nicht so schlimm.

Gestern Nacht war es wieder so weit. Ich war mit zwei meiner Mädels in einem Münchner Club, dem Call me Drella. Die Coolen sagen einfach nur Drella. Und von denen gibt es da drin einen ganzen Haufen.
Mein Problem am Münchner Nachtleben ist, dass es unmöglich geworden ist, in dieser zauberhaften Stadt einen vernünftigen Club zu finden, der nicht zu voll ist, sodass man tanzen kann; wo die Musik anders ist als die guten alten Charts, aber nicht zu abgefahren; wo die Besucher entspannt und nett sind, aber nicht zu toll; wo der Frauendurchschnitt ausgeglichen ist, sodass man nicht ab drei Uhr nur noch mit dem Abwehren von verzweifelter Belagerung beschäftigt ist; wo man älteres Publikum und „Männer“ und „Frauen“ trifft, und nicht nur pubertäre Teenager; wo man (tatsächlich) „Männer“ treffen kann, aber keine aggressiven Schnösel oder, noch schlimmer, Hipster; der nicht zu billig ist, sodass keine volltrunkenen Proleten durch die Menge strahlen; der nicht zu teuer ist, sodass junge Schriftsteller nicht pleite gehen. Das sind meine Kriterien. Und in einer riesigen Stadt wie München könnte man meinen, das dürfte doch nicht so schwer sein.

Ist es aber.

Gestern Nacht also nahmen mich zwei meiner Bekannten mit ins Drella. Man muss dahin mehr oder weniger „mitgenommen“ werden, weil die eine „harte Tür“ haben. Zunächst fand ich das super, denn die acht Bitches, die in verschiedenen Konstellationen vor uns anstanden, sind allesamt abgewiesen worden, die sahen einfach zu zickig und eingebildet aus. Ich habe einen guten Blick bei sowas. Frauen abscannen. Als Türsteherin für die Frauen-Auswahl würde ich mich eignen. Für Männer nicht so, die kann ich weniger gut einschätzen…
Auf jeden Fall, die Bitches wurden alle heimgeschickt, wir drei netten Mädels kamen aber ohne Probleme und umgehend rein. Das fand ich schon mal gut und habe dadurch vielleicht meine Erwartungen etwas zu hoch geschraubt.

Denn drinnen war es unglaublich voll, und unglaublich toll. Der Abend drohte, eine halbe Katastrophe zu werden, deswegen bin ich um drei gegangen.

Das Drella hätte einen schicke Location, auch das abgefahrene Konzept mit den Kostümen, der Schminke und den Tänzern wäre cool, aber trotzdem ist es das gleiche, wie überall in den anderen Clubs. Die Musik könnte gut sein, Ansätze sind da, viele, sehr gute, in den entscheidenden Momenten jedoch mixt der DJ wieder irgendeinen nostalgischen Quatsch aus meiner Kindheit rein, damit sie sich alle wieder so fühlen wie mit dreizehn. Die Barkeeper sind nett. Zu mir zumindest. Das ist schön.
Aber ansonsten, der Club? Die Leute?

Es ist immer das gleiche, immer die gleichen raketenvollen Idioten, die auf den Boxen stehen und die Arme heben, mit geschlossenen Augen und halbgeschlossenem Mund, einen Wodka-Bull in der Hand. Die gleichen Blicke, welche die Menge abscannen nach einem potentiellen Fortpflanzungs– und Liebe-fürs-Leben-Partner, während man sich narkotisiert und monoton zu den immer gleichen Beats bewegt. Kann da einer tanzen drin? Nein.
Auch deswegen nicht, weil es so voll ist, dass man sich permanent auf die Füße latscht. Wirklich voll. Brechend voll. So voll, dass sich diejenige eigendynamische Menge entwickelt, die hin und her wabert und an den Seiten die ausgefransten Ränder, von der Wellengewalt herumgeworfen, an die Wände torkeln.
Ich kann das nicht ausstehen.

Der immergleiche Blick der Münchner Tollen, der sagt, dass man das coolste hier drin und auch unter der Sonne ist. Das sind die, die mit dreißig im Dachstuhl hängen werden, weil sie alt geworden sind. Alt. Alleine. Während andere ein Leben haben, Freunde, eine Familie oder Kinder. Ein Leben.
Diese zwei Blick-Mischungen gibt es, den verzweifelt Suchenden und den Zu-cool-um-wahr-zu-sein-Fühlenden.

Dann gibt es noch die ganzen Aggro-Typen, Schnösel aus der Kategorie arrogant und neureich, schlecht erzogen mit Proleten-Tendezen. Champagner spritzen ist nicht cool, es war es noch nie und wird es auch nie werden, zumindest nicht in ernst zu nehmenden Gesellschaftskreisen. Champagner trinkt man, immer, aus Gläsern, nicht aus Flaschen. Das wissen alle Menschen, die gut und mit Sinn für Stil erzogen wurden, ganz gleich ob arm oder reich. Es ist peinlich, wenn achtzehnjährige sich eine Magnum-Flasche Moet rauslassen und damit in die Menge spritzen. Als würden sie mit diesem Fallus-Symbol ihre Potenz beweisen müssen. Nehmt das bildlich. Das nächste Mal, wenn ihr Zeuge von so etwas werdet, werdet ihr das Bedürfnis haben, euch zu übergeben.
Frauen machen sowas übrigens selten. Die dummen Weiber finden es geil und jubeln dazu und finden den Typen einen tollen Typen. Dass sie sich da gerade einen unleidigen Proleten angeln, ist ihnen scheinbar nicht bewusst.
Die Aggro-Typen sind übrigens auch die, die schubsen, sich rücksichtslos durch die Menge wühlen und Frauen nicht den Vortritt lassen. Die sich an der Bar und der Garderobe vordrängeln, 50-Kilo-Elfen-Mädchen umrennen, sie können es ja. Sie sind ja toll. Die mit stolz geschwellter Brust in klatschnassen Daunenjacken über die Tanzfläche laufen und eine glitschige Schleimspur auf den zarten, entblößten Damen-Armen hinterlassen.
Die meinen, Gesetze gelten für sie nicht und sie könnten im Club rauchen. Sorry Leute, aber ich finde das zum Kotzen. Gesetze gelten in einer Demokratie für alle gleichermaßen, wenn euch das nicht passt, wandert aus oder geht demonstrieren und besetzt irgendwelche Häuser (was diese Kategorie von Typen natürlich nicht tut), aber hört mit dem pseudo-revoluzzer-Ich-bin–toll–und-rauche-im-Club auf. Es ist ein Armutszeugnis.

Ins Drella wird man eigentlich erst ab 22 gelassen, aber ich frage mich, warum das Publikum dann trotzdem großteilig nur aus ausrastenden Teenies besteht.

Und die „Insider“, die seit zehn Jahren „in der Nacht“ arbeiten (zu denen hab ich übrigens auch mal gehört, bis ich mir dachte, ich will mehr vom Leben als mit dreißig in irgendwelchen Bars zu kellnern), sind nicht viel besser.
Die sind nicht ganz so aggro, meistens auch nicht ganz so stockbetrunken, aber trotzdem sehr von sich selbst überzeugt. Brüsten sich gerne damit, wen sie alles kennen, was sie alles schon erlebt haben und wo sie überall reinkommen. Die wollen einem (mir…) dann auch immer die Regeln des Nachtlebens erklären. Gestern ist mir wieder so ein Kandidat über den Weg gelaufen. Dass die ihren Club vollbekommen und deswegen alles mögliche an unmöglichen Leuten reinlassen, weiß ich, danke. Dass die Clubbetreiber in München nur eine Hand voll Leute sind und sich alle untereinander kenne, weiß ich auch, danke. Dass die wegen des abgefahrenen Konzepts des Drellas kommen, weiß ich. Dass es Begehrlichkeiten weckt und das Etablissement interessant macht, wenn viele Leute abgewiesen werden, kann ich mir denken.

Hach. Das Konzept. Brot und Spiele, ihr Lieben. Der Münchner Jugend versucht man, etwas Neues zu bieten. Die alten, jahrelang durchexerzierten Muster langweilen, sie sind nicht mehr attraktiv, interessant, ziehen nicht mehr, man gibt dort nicht mehr genug Geld aus. Großraumdiscotheken sind peinlich, deswegen gehen wir jetzt in winzige Clubs mit elitärem Publikum. Deswegen versucht man es mit Light-Shows, Gogo-Girls, Pornos an den Wänden, nackten Barkeeperinnen und Barkeepern, oder eben, wie im Drella, mit schrillen Kostümen und Schminke. Ja, es hat was, aber nein, es reicht nicht. Es ist ein genauso verzweifelter Versuch wie die Gogo-Girls im Neuraum, Großraumdissen-Gefühle kommen trotzdem auf. Und der Abend wird auch nicht dadurch rausgerissen, dass Travestie-Tänzer auftreten. Nein. Im Gegenteil, ich finde dieses Ausstellen von „diesen Andersartigen“ als Club-Sensation, die das Etablissement aufwerten soll, rassistisch und homophob. Keiner der Schnösel und keine der Bitches würde sich in einem Kostüm da oben hinstellen. Man schaut sie sich nur an, wie im Zoo.

Und manchmal, wenn ich dann nach Hause laufe durch mein München, frage ich mich, ob ich nicht einfach die Klappe halten sollte. Es ist doch gut so, wie es läuft. Horden junger Menschen geben Wochenende für Wochenende Unsummen ihres teilweise sauer verdienten Geldes in Clubs aus. Oder für Taxis. Es ist politisch gewollt, dass nachts keinen Ubahnen fahren, denn so muss man sich ein Taxi  nehmen und gibt noch mehr Geld in Umlauf. Ansonsten müsste die MVG noch mehr Ubahn-Betriebskosten und Fahrer bezahlen, aber bringen würde es nichts, denn die Fahrgäste hätten entweder sowieso ein Monatsticket und zahlen deswegen nicht mehr oder fahren im trunkenen Zustand gleich schwarz.
Die Wirtschaft brummt, denn Geld wird in Umlauf geschossen, milliardenweise, Alkohol wird konsumiert, die Ärzte verdienen an den Langzeitschäden, die Clubbesucher brauchen auch etwas teures und schickes zum Anziehen, am besten mit Polo-Pferdchen oder Krokodil drauf, Louis Vuitton verdient sich dumm und dämlich. Warum man mit riesigen, tausende Euro teuren Taschen weggeht, habe ich noch nie verstanden. Warum man seine teuersten Schuhe aus feinstem Leder in einem Club trägt, wo andere einem ständig auf die Füße treten, der Boden nass und voller Glasscherben ist und man laufend Drinks drübergekippt bekommt, habe ich ebenso noch nie verstanden.

Aber, das ist politisch gewollt. Diejenigen, die nämlich Wochenende für Wochenende Unsummen beim „Feiern“ (Was feiern die eigentlich? Dass sie existieren? Dass sie toll sind?) ausgeben, müssen das Geld auch verdienen. Und in der Regel entweder viel arbeiten oder finanzkräftige Eltern haben. Auf jeden Fall sind sie unter der Woche beschäftigt mit ihrem 40-Stunden-Job und am Wochenende mit schlafen und ausnüchtern, kommen nicht auf dumme Gedanken und haben oftmals nicht einmal die Zeit, eine vernünftige Zeitung zu lesen. Und wählen dann schön die FDP, weil die ihre neureichen Schnösel-Interessen vertritt.

Ich weiß, dass diese Erkenntnisse nicht neu sind, aber ich musste es mal loswerden.

Ach ja, und es ist Frühling geworden.

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