Am Dienstag, den 27. März erreichen wir nach wenigen Stunden Fahrt Kuta Lombok. Zuvor sind wir durch Mataram gefahren, und es war ein seltsames Gefühl, ein zweites Mal an einen Ort der Reise zurückzukehren, ein Heimatgefühl machte sich breit. Julia und ich waren entzückt — „Schau mal, da geht es zu unserem Homestay!“ — „Da waren wir essen, das Hühnchen war fantastisch“ — „Und da, die Mall!“ Wirklich ein beeindruckendes Gefühl. Später, als wir nach Jakarta zurückkehren, wird es uns auch noch umhauen, aber nicht so sehr. In Mataram, das nicht so groß ist und wir uns schnell auskannten, haben wir uns zu Hause gefühlt, daher war das Gefühl der Verbundenheit viel stärker als in dem Moloch Jakarta.
Als wir Kuta erreichen, ist es Mittag. Wir finden ein Homestay, das uns eigentlich gefällt, wollen es uns allerdings nochmal überlegen und gehen in einer Strandbar essen. Und wir verpassen durch das ausgedehnte Mittagessen die Zimmer. Also ziehen ich nochmals mit einem Teil der Würzburger los und wir können uns nach langen Diskussionen noch auf ein anderes Homestay einigen. Mit Pool. Der Pool war der Oberhammer, übrigens. Genau so einen will ich auch haben, dann mal irgendwann, wenn ihr fleißig genug meine Werke gekauft habt…
Wir latschen also durch die segende Mittagshitze mit unseren Backpacks, den Surfboards und allerlei Kleinkram, checken im Homestay ein und dann mieten die Jungs Roller, mit denen wir die Gegend erkunden. Wir finden ein paar schöne Strände zum Surfen mit Wellen, auch die Landschaft ist sehr schön, nahezu umwerfend, mit hohen, grasbewachsenen Klippen am Meer. Es sieht fast wie in Südengland aus.
Rollerfahren macht auch ziemlichen Spaß. Nur mein Helm, den ich zunächst habe, ist viel zu groß, und ich knalle ständig an den des Vordermannes, doch nach einer Tausch-Runde habe ich einen kleineren und ab da rennen wir nicht mehr ständig mit den Köpfen zusammen. Was auch daran liegt, dass Caro, der Kontrollfreak, irgendwann aufgegeben hat, an der Schulter vorbeizuschauen, um den Fahrer zu überwachen. Bringt ohnehin nichts, außerdem verursacht es unangenehme Nackenschmerzen…
Abends dann lerne ich die Vorzüge des Pools endgültig kennen, denn er ist lauwarm, wir planschen fröhlich darin (nur zu siebt, denn einer hat Ohrenschmerzen und sah schon beim Essen vorher fiebrig aus; Tipp an alle Surfer an dieser Stelle: Vorsorglich Antibiotika gegen Mittelohrentzündung verschreiben lassen, das erspart einem viel Ärger vor Ort) unter dem Sternenhimmel und ich ertrinke zwei mal fast: Das erste Mal verschlucke ich mich lachend beim Singen der Hymne von Whiskey Island, beim zweiten Mal knalle ich beim Tauchen mit geschlossenen Augen (wegen der Kontaktlinsen) im stockfinsteren Pool volle Kanne gegen die Mauer. Das Geräusch der an die Fließen krachenden Schädeldecke war ein wenig unheimlich und ich werde es so schnell nicht vergessen. Gab auch eine nette Beule.
Am nächsten Morgen regnet es, darum wird das Surfen vorerst verschoben. Wir schlagen bis Mittag die Zeit tot, dann beschließe ich, mit einem der Jungs wandern zu gehen, wir wollen auf den Hügel nahe Kuta und uns ein wenig umschauen. Die anderen fahren mit den Rollern in die andere Richtung, die wir gestern noch nicht erkundet haben.
Die Wanderung ist angenehm, es ist gut, mal wieder raus zu kommen und sich mit sich selbst zu beschäftigen, mir wäre sonst die Decke auf den Kopf gefallen. Die neue Größe der Gruppe hat viele Vorteile, allerdings ist es auch anstrengend. Und bei mir kommt noch hinzu, dass ich permanent Leute beobachten und analysieren muss, das hat fast schon den Charakter einer Neurose. Und ein paar Problemchen sind aufgetaucht, die Caro reflektiert ihre Welt daheim und was sich ändern muss, dazu war ein ausgedehnter Spaziergang hervorragend. Wenn sich das schlechte Gewissen, Schuldgefühle und Schmetterlinge gegenseitig jagen, zum verrückt werden. Rennen hilft. Nun denn.
Alles wurde gut.
Am nächsten Tag dann waren die Jungs Surfen und kamen „völlig zerstört“ in ihren Worten wieder zurück. Sie schlichten sich erst mal Surferburger rein und erzählen von fantastischen Wellen, und wie schön es war. Das tut Julia und mir ganz gut, haben wir uns doch am Vorabend noch ein wenig die Köpfe eingeschlagen. Aber Frauen brauchen das manchmal, sich anzuzicken, und dann ist alles wieder in Ordnung. Am Nachmittag, als sie nochmal zum Surfen rausfahren, lassen Julia und ich uns am Strand aussetzen, einem wunderschönen noch dazu. Perlweißer Sand, knatscheblaues Wasser der Lagune, im Hintergrund die Berge. Es war zauberhaft dort. Ich bin erst mal ne Stunde planschen gegangen, die anderen haben ausgechillt und gelesen. Es gibt tolle Bilder von Julia, wie sie in einem grünen Shirt am Strand sitzt mit einer roten Sonnenbrille, zu ihren Füßen ein hübscher grauer Strandköter, der fotogen in die Kamera blickt. Kein Witz, ein paar wirklich hübsche Bilder sind das.
Es könnte überhaupt alles so schön sein, denke ich mir die ganze Zeit, während uns die verbleibende Urlaubszeit zwischen den Fingern verrinnt. Während das Restleben bereits auf eine Katastrophe hinausläuf, 4. Akt, kurz vor dem letzten Vorhang. Ich hätte es wissen müssen. Der Trost ist der schöne Urlaub und das zu Hause wieder alles so sein wird, wie es vorher war. Dachte die naive Caro. Ich werde nach diesem Urlaub einen neuen, sehr indonesieninspirierten Roman beginnen.
Abends essen in einem Warung, hervorrangende gegrillte Knoblauch-Garnelen und Reis und scharfes Gemüse. Danach zurück zum Hotel, in den Pool, planschen und ratschen.
Am nächsten Morgen gehen die Jungs sehr früh raus zum Surfen, sie kommen zurück, als wir gerade frühstücken und flicken sich erst einmal wieder zusammen. Wir verbringen ausgiebig Zeit im Pool, im Internet und mit Klatschmagazinen. Dann fahren wir mit den Rollern los, wir wollen zu einem benachbarten Strand, allerdings ist die Straße der blanke Horror:
Es geht mit den Rollern, jeweils zwei Passagieren und einem Surfbord nur sehr langsam voran, teilweise muss der Beifahrer absteigen und laufen, sonst ist es zu schwer, die Löcher in der Straße zu umkurven und das Gleichgewicht zu halten. Als wir den Berg erklommen haben, folgt gleich das nächste Problem: Einer der Roller hat dank eines immensen Schlagloches einen Platten. Ein Teil von uns fährt voraus, um sich im nächsten Dorf nach einer Werkstatt zu erkundigen, wir übrigen bleiben im Schatten an der Straße sitzen und warten. Als sie zurückkommen, wird klar, dass wir zurück nach Kuta müssen. Wir kehren also um, und auf dem Weg den Berg hinunter, als wir die schwierigsten Stellen eigentlich schon hinter uns gelassen haben und vermutlich die Konzentration nachgelassen hat, passiert es: Warum auch immer rutscht uns der Reifen plötzlich weg und der Roller kippt um. Ich versuche noch, mich dagegen zu lehnen, natürlich ohne Erfolg, und versuche mich an meinem Rollerpartner festzuhalten, aber das ist zwecklos. Auch er versucht sein Möglichstes, um einen Sturz zu verhindern, sein Schuh fliegt ein paar Meter weg, wir machen unsanfte Bekanntschaft mit dem Boden. Aber glücklicherweise passiert uns nicht viel außer ein paar blauen Flecken und einer leicht verstauchten Hand, was aber nicht der Rede wert ist. Sein Kommentar: „Ich bring‘ die Caro heut‘ noch um“, bewahrheitet sich also nicht. Man merkt allerdings, dass wir beide nach dem Sturz unsicherer sind und nervös.
Wir finden eine Art „Werkstatt“, ein indonesisches Pendant, wo wir unseren Roller reparieren lassen können. Danach fahren wir zu einem nahen Strand und bleiben dort, Julia und ich gehen ein letztes Mal Schwimmen im Meer, ich erkunde ein letztes Mal ein (leider langweiliges und hauptsächlich felsiges) Riff und wir liegen ein letztes Mal im Sand, der fast runde Körnchen hat.
Außerdem beobachten wir Surfer, wie sie sich in den Wellen austoben. Ein tolles Bild hat dabei Philipp Laurer gemacht, einer aus der Würzbuger-Truppe:
Das ist typisch indonesisches savoir-vivre…
Ab jetzt läuft allerdings die Rückkehr-Uhr. Zurück im Hotel machen wir uns schick für das letzte Abendessen, unsere Surfer ziehen ausnahmsweise ihre Surfshorts aus und saubere T-Shirts an, zur Feier des Tages ;). Nach dem Essen steigt die letzte Poolparty, ich lerne ein lustiges Trinkspiel namens Ming-Meng-Mong, selbstverständlich wird nicht getrunken dabei. Irgendwann löst sich die Gruppe auf und wir gehen ins Bett. Die Würzburger werden am nächsten Morgen in aller Frühe abgeholt und fahren zurück nach Bali, Julia und ich werden später zum Flughafen nach Mataram gebracht, von dort aus fliegen wir wieder nach Jakarta. Wir verabschieden uns also von ihnen und wünschen ihnen für ihre weitere Reise alles Gute. Eine lustige Truppe, die wir da kennen gelernt haben.
Die Fahrt zum Flughafen am nächsten Morgen wird sehr traurig, es regnet, wir fahren ein letztes Mal durch Lombok und seine wunderschöne Landschaft. Am Flughafen starren wir aus großen Fenstern in den trüben Himmel, trinken völlig überteuerten Kaffee und reden endlich einmal wieder über uns, das Leben und die Welt. Der Flug wird grausam, Lombok von oben, Java von oben, wir hatten eine fantastische Zeit dort. Nach zwei Stunden landen wir in Jakarta, es ist bereits dunkel, die riesige Stadt liegt glitzernd unter uns. Bei der Landung verläuft alles problemlos, wir bekommen unser Gepäck und fahren mit dem Bus in die Stadt. Die Busfahrt ist irgendwie schön, wir erkennen die Stadt wieder und es ist ein melancholisch-gutes Gefühl, wieder dort zu sein, aufzuhören, wo alles anfing. Auch wenn dazwischen viel passiert ist. Jakarta ist zwar ein Moloch, aber Jakarta ist auch eine schöne Stadt. An der Busstation Gambir angekommen, laufen wir zu Fuß durch das nächtliche Jakarta und haben eigentlich gar keine Angst, so schlimm ist es also gar nicht und auch nicht so gefährlich, wie wir zu anfangs dachten. Wir qartieren uns in einem häßlichen und teuren Hotel ein, was solls, wir essen Gemüsesuppe und Toast, es schmeckt nicht, was solls.
Mir fällt plötzlich auf, dass unser Flug nicht wie gedacht, in der Nacht von Montag auf Dienstag geht, sondern von Sonntag Nacht auf Montag und die Hektik bricht aus. Julia fällt aus allen Wolken, doch am Ende ist es nicht schlimm, wir haben nur noch den morgigen Tag in Jakarta und können eben nicht nochmal Sightseeing machen. Besonders große Lust habe ich ohnehin nicht. Ich will lieber Gedichte schreiben und nachdenken.
Am nächsten Morgen stehen wir gerädert auf, „genießen“ das Frühstück, ein vorletztes Mal Mie Goreng, danach gehen wir einkaufen, packen zusammen und machen uns fertig. Am Bahnhof essen wir Donuts gegen den Frust (hilft nicht) und treffen uns mit dem Engländer Michael, den wir in Pangandaran kennen gelernt haben. Wir machen mit ihm einen Spaziergang durch Jakarta und anschließend lädt er uns in den Wellnessbereich eines Hotels ein. Es ist sehr schön dort, auf dem Dach des Hotels, ein großer Pool mit Blick über die Stadt. Es regnet zwischenzeitlich, aber die Aussicht über Jakarta ist fantastisch. Wir genießen die Melancholie, den Sonnenuntergang hinter den Wolkenkratzern, das traurige Singen der Muhezzine, das sich über den Häusern erhebt. Ich höre meinem Herz beim Brechen zu und frage mich, wie das alles jemals wieder gut werden soll. Und beschließe, so schnell wie möglich zurück nach Jakarta zu fliegen. Ich habe so viel gefunden dort, und so viel gelernt.
Wir fahren zum Busbahnhof, verabschieden uns von Michael und fahren zum Flughafen. Die Stimmung wird langsam friedlicher, nicht mehr so aufgewühlt-traurig, die Gespräche zwischen Julia und mir ergiebiger, ich versuche, sie wirklich zu verstehen und sie mich, wir beschäftigen uns endlich wieder mit uns beiden, nachdem wir die letzte Zeit jeder seinen eigenen Gedanken nachgehangen sind. Es ist interessant, wie man, trotz der vielen gemeinsamen Erlebnisse und der gemeinsam verbrachten Zeit in seiner eigenen Gedankenwelt dermaßen versinken kann, dass man zum anderen und dessen Gedankenwelt nur schwer den Zugang wieder findet.
Die Fahrt zum Flughafen dauert zwar nur eine halbe Stunde, dafür aber zu unserem Terminal über eine Stunde. Der Verkehr um Jakarta ist echt der Wahnsinn. Angekommen dann, geben wir unser letztes Geld für eine letzte Potion Mie Goreng für jeden aus und Warten einmal mehr, dann stehen wir tausend Jahre am Check-In an und halten den Verkehr auf, weil wir die Tax von 150.000 Rupien pro Person vergessen haben, die man beim Einlösen des Tickets bezahlen muss. Ich renne also mit meiner Kreditkarte im Anschlag durch das Terminal, um einen ATM zu finden. Nach einer Ewigkeit finde ich einen, hebe nochmals Geld ab und sprinte zurück. Wir bezahlen und checken ein, dann schlagen wir Zeit tot im Starbucks beim Heiße-Schokolade-Trinken, warten, passieren eine Schleuse, warten, passieren noch eine Schleuse, warten wieder, dann dürfen wir endlich einsteigen. Wieder warten, dann heben wir ab. Der Flug wird anstrengend, ich kann mich nicht einmal genug konzentrieren, um einen Film zu schauen.
In Dubai dann ist die Aufenthaltszeit einigermaßen angenehm, ich lege mich in einen der Relax-Sessel, während Julia heiß Duschen geht. Von Dubai nach München fliegen wir mit dem A 380, der Sitz neben mir ist frei, sodass die kleine Zwergen-Caro sich auf den Sitzflächen zusammenrollen und einigermaßen schlafen kann, das Essen ist halbwegs gut, ich schaue etappenweise „The Artist“ an, am Stück ist mir zu anstrengend. Mein Zustand ist desolat. Jetzt im Nachhinein ist es schwer vorstellbar, aber es war der blanke Horror.
In München angekommen verläuft alles glatt und problemlos, wir bekommen das Gepäck, Julia und ich flüchten jeder in den Hort unserer Familie und ich flicke mich wieder zusammen. Es war eine wunderschöne Zeit in Indonesien, auch wenn es bei mir Zeit braucht, das alles zu verdauen. Vor allem, weil familiär bei meiner Rückkehr die Welt ein bisschen in Trümmern liegt. Aber die Welt ist verzahnradet, es muss nur alles anlaufen, dann kommt es von alleine wieder in Gang, bis es flüssig vor sich hin rattert, das Leben. Ich schreibe viele neue Gedichte in der Folgezeit und beginne einen neuen Roman, an dem ich im Moment noch hauptsächlich arbeite. Mal sehen, wann er fertig wird.
Und als die Bachelorarbeitsphase beginnt, hört das Nachdenken irgendwann auf, ich stürze mich mit Feuereifer ins Schreiben. First — impressions, second — thoughts, und das Denken ist noch nicht ganz abgeschlossen.
Mein abschließender Tipp an alle: Fahrt nach Indonesien!