Private Momente

Man mag es mir verübeln, aber ich bin mir sicher, niemand verübelt es mir so sehr wie ich. Die Versenkung, dieses Leben, das mich verschlingt. Manchmal kommen sie, die lichten Momente, die Sonne bricht dann durch das wirre Geäst in meinem Gehirn und es ist jedes Mal wie ein Schock. Und dann fahre ich meinen (privaten) Rechner hoch, höre Eels oder Flobots und schreibe. Wirre Gedichte, ich sage euch, was ich in der letzten Zeit so abgeliefert habe, ist nur Schrott. Manchmal arbeite ich auch an Sommerhaus, aber eher selten, ich habe zu wenig Zeit am Stück, muss mich aber jedes Mal aufs Neue wieder darauf einlassen. Und außerdem ist meine Inspirationsquelle weg — meine Jungs. Sie waren irgendwie immer präsent, im letzten Jahr, auch wenn sie nicht da waren, sie schwebten über den Dingen. Ich konnte sie fassen.
Jetzt habe ich sie selbst herausgekickt. Und damit die Faszination, die Wut, die Aggression, das Interesse und die Liebe, die mich mit ihnen und der Geschichte verbunden hat. Ich glaube, Sommerhaus profitiert davon. Weil es neutraler wird, weil der Erzähler mächtiger wird, weil die Jungs weninger destruktiv sind, als sie es schon drohten, zu werden. Aber ich renne mit dem Kopf im Nebel durch meinen Roman, auf der Suche nach dem, was mich einmal angetrieben hat.

Ich will das Ding fertig schreiben, das muss zu Ende gehen. Die Frage ist nur, wann. Ich hatte ja erzählt, dass ich als Eventmanagerin in einem Verlag arbeite. Nein, nicht das, was ihr denkt. ZEITSCHRIFTEN. Nein, auch keine wissenschaftlichen Fachpublikationen. Maximalpopulärwissenschaftlich, lautet die Devise. Und nein, ich schreibe nicht für die. Sehr selten. Wenn ich etwas mit Texten zu tun habe, dann, wenn ich die Artikel anderer zerlege. Dafür um so genüsslicher. Mit gewetztem Messer. Vielleicht, weil mir manchmal latent übel wird, wenn ich sehe, was jemand ohne jegliche literarischen Grund– oder Deutschkenntnisse (Kommasetzung! Rechtschreibung! Stilblüten!) schreiben kann und damit auch noch Geld verdient. Gut, es sind keine Romane, keine Erzählungen, nichts, wonach man nächtelang nicht mehr richtig schlafen kann. Es sind Geschichten. Storytelling ist ja in zur Zeit, unter den Werbeleuten. Zum Weinen. Man kann aus allem eine Geschichte machen. Oft sogar eine gute.

So kommt es, dass aus meinem Blog, das ich früher für die Publikation meiner Gedichte und Gedanken geführt habe, ab und an private Momente durchschimmern. Zumindest privatere, als ich sie mir in meinem Berufsleben erlauben kann. Eventmanagement; ihr wisst, was das heißt, wenn ihr DWWD gelesen habt. Vera… Witzig, als hätte ich es vor Jahren, als ich den Roman konzipiert habe, geahnt. Vera hat eine reale Vorlage. Ich mochte sie gern. Ich arbeite mittlerweile das gleiche. Ich mag sie immer noch. Mich, was ich tue, nun ja.
Wobei, eigentlich stimmt das nicht, es ist eher das, was der Job aus mir macht. Dieses viele Reisen. Ich komme zu nichts mehr, weil ich so viel Zeit in Zügen verbringe und Flugzeugen, und weil ich dann immer arbeite, an meinem Dienstrechner natürlich, oder lese, was sollte ich sonst tun. Man wird einsam.

Aber das eigentlich frustrierende ist, dass ich mich für eine Welt aufreibe, deren Puls schwächer wird. Der Dampf entweicht, die Zellen sterben ab, werden schlaff, die Haut hängt fahl am Gerippe der deutschen Zeitungs– und Zeitschriftenlandschaft. Der Witz an der Sache ist, dass es dem Magazin, bei dem ich arbeite, ziemlich gut geht. Aber der Rest der Wabe, in der wir geschäftig arbeiten, die wird weich, bröselig, überall nagt die Witterung. Man kann es sehen. Und fühlen. Und hören. Die Kollegen, in den Gängen, wie sie fluchen und schimpfen und kündigen und sich etwas anderes suchen.

Das Positive — ich bin viel unterwegs. Ich bin endlich in der Mischung ruhelos-ruhig, wie ich das immer gerne gehabt hätte. Es macht mir nichts aus, die anderen Städte, die Hotelzimmer, im Gegenteil, ich liebe Hotelzimmer. Ich liebe die Handtücher, flauschig und weich, ich liebe die sauberen Bäder, die nicht aussehen, als hätte ein  Tier mit langem, blondem Fell dort übernachtet. Motel One-Zimmer. Die sehen immer gleich aus. Man ist überall gleich zu Hause. Ich liebe auspacken, einpacken, Hotelbettwäsche, kühl und glatt. Nur die Zimmernummern, mit denen habe ich Schwierigkeiten. „Zimmer 408″, antworte ich auf die Frage an der Rezeption. „Kann nicht sein, haben wir nicht.“ „Hm. Vielleicht 308?“ „Vielleicht?!„
Ich mag Zug fahren. Ok, ich mag fliegen nicht, es ist langweilig und man sieht nichts und es zerreißt einem die Zeit — hinfahren, warten, einchecken, warten, Sicherheitsschleuse, warten, Boarding, warten, fliegen, warten, Gepäck holen, auf die Bahn warten.

Und, ich mag es, so viele Leute kennenzulernen. Alles potentielle Inspiration. Neulich habe ich einen jungen Mann in Hamburg fotografiert, er saß an der Alster und spielte Gitarre, und er hat dazu gesungen. Er war unglaublich schön. Und er hat herzzerreißend gesungen. Jason Marz. Ich habe das Bild gerade nicht da, ich poste es bei Gelegenheit mal. Er heißt Mark und ist 16. Und er träumt. Er will Musiker werden. Er hat geplappert wie ein Wasserfall. Er träumt. Er ist dabei, sich seinem Traum zu nähren, Stück für Stück, ich bewege mich von meinem immer weiter weg, jeden Tag, mit jeder Entscheidung.

Oder, ebenfalls in Hamburg, mein Professor. Ich nenne ihn so, er ist sogar nicht nur Professor, er ist Staatssekretär a.D. und Wissenschaftler, aber er ist auch mein Professor. Wenn ich in Hamburg bin, schaue ich zum Kaffeetrinken im Uniklinikum vorbei. Da arbeitet er. Offene Türen. Das ist schön.
Herr Pahnke. Ein ganz alter Mann, der mich in sein Herz geschlossen hat. Der mir alte Geschichten aus Hamburg erzählt, als er noch bei einer Reederei gearbeitet hat. Ich werde immer todtraurig, wenn wir uns unterhalten, und hoffe inständig, dass er noch lange lebt.
Es gibt so viele. Ich darf wiederkommen. Eine gute Erfahrung.

Oder mein Lieblings-Vermögensverwalter. Frankfurt, dieses Mal. Ich habe ihn auf einer unserer Veranstaltungen kennengelernt und wir haben uns ganz nett unterhalten. Seitdem treffen wir uns ab und zu, wenn ich in Frankfurt bin oder er in München. Es ist schön; mir macht es Spaß, mich mit ihm zu unterhalten. Aber das ist es nicht allein.
Was noch viel interessanter ist, ist die Tatsache, dass er ein absolut glatter Typ ist. Professionell, freundlich, nett, sympathisch. Ich kann mir schwer vorstellen, dass er nicht nett sein kann. Obwohl ich weiß, dass er es gut kann, aber es ist so schwer vorstellbar. Das „Glatte“ in seinem Gesicht hat er eigentlich immer, ganz gleich, worüber wir uns unterhalten. Auch wenn er lacht. Auch wenn es mir so vorkommt, als würde ständig, wenn ich ihm etwas erzähle, ein latent amüsiertes Grinsen über seinem glatten Lächeln hängen. Er ist ein paar Jährchen älter, möglich, dass er sich tatsächlich über meine Mitzwanzigjährige Naivität amüsiert.
Was ich eigentlich erzählen wollte — es sind seltene Momente, in denen man solche Menschen wie ihn, die „Erfolgreichen“ in diesem Land, wirklich privat erlebt. Und wenn es nur für einen kurzen Blick ist. Einen Atemschnapper.

Es liegt nicht daran, dass man sich keine privaten Sachen erzählen würde. Man plaudert irgendwann schon immer ziemlich viel, wenn man sich sympathisch findet; die Grenzen sind da fließend. Nur Hobbys, nur Sport, Familie auch oder nur Kinder? Was mir nach ein paar Gläschen Wein schon alles erzählt wurde, vorzugsweise von Herren Mitte bis Ende fünfzig, von Eheproblemen, Schwierigkeiten mit den Töchtern, Komplikationen mit den Affären, alles mögliche. Aber richtig privat sind die Menschen trotzdem selten, in ihrer Ausstrahlung, ganz gleich, was sie erzählen.

Aber meinen Vermögensverwalter, den erwische ich ab und zu. Und da freut es mich besonders. Weil der nämlich der Prototyp des sympatischen Glatten ist. Es gibt auch noch die unsympathischen. Das sind die, die in den Bankentürmen sitzen oder die Waschmaschinen verkaufen oder was auch immer. So einer ist er nicht, gar nicht. Aber trotzdem eben irgendwie unfassbar, nicht zu durchschauen.

Erzählt von Haustieren, Geschwistern und Familie und es sieht so aus, wenn man uns beobachten würde, als würden wir über die Farbe der Kieselsteine auf dem Weg reden. Mein persönliches, privates, (natürlich geheimes *glucks*) Spiel ist es, gut aufzupassen, um ihn einmal „privat“ zu erwischen. Sehr selten, aber klappt. Dann freue ich mich ein Goldfisch in der Pfütze auf einer Cannabisplantage.

Ich erkläre das mal, damit es verständlich ist. Letzte Woche, Caro in Frankfurt, trifft sich mit Lieblingsvemögensverwalter zum Mittagessen, „zum Lunch“, nennt man das. Wir stehen im Vapiano, wollen bestellen, Caro fällt ein, dass sie dem Taxifahrer gerade ihr letztes Geld in den Rachen geworfen hat. Tja, doof. Ziemlich peinliche Situation. Was tun? Pokern, dass er eh einlädt? Ist mir zu heiß, dafür hab ich zu schwache Nerven. Und wenn er es nicht tut, megapeinlich.
Also: Bescheid sagen. Caro erklärt, bietet einen Deal an. Er willigt ein. (Alles gut, das ist auch nicht der Punkt, auf den ich hinaus will.)
Ein bisschen hat er mich ausgelacht. Und als ich mich zum dritten Mal entschuldige und betone, wie peinlich mir das ist (es war mir unendlich peinlich), entfährt ihm ein „Jaaa-haa, passt schon.“ Grinsen.

Erwischt! Da war es, das private Lieblingsvermögensverwalter-Gesicht! Nur kurz, dann hat er sich wieder im glatten Griff. Aber immerhin.

Glucks.

Ganz viele Menschen in dieser Branche sind so, auch sehr viele, die ich sehr gerne mag. Die sind wie Raumschiffe. Man kann sie sehen, man kann mit ihnen lauter geschäftliche Dinge tun, klappt  wunderbar, man kann sich auch mit ihnen betrinken und um die Häuser ziehen (Lieblings-Kunstverwalterin, Assistentin des Lieblings-Wirtschaftsprüfers) und über alles mögliche ratschen (sogar Dreier, Sexflauten im Bett in langen Beziehungen), aber sie sich bei einem selbst zu Hause auf der Couch, am Esstisch, gemütlich kochend, auf dem Balkon, auch nur in der Lieblingsbar vorstellen, das kann man nicht. Was man eben sonst so tut, mit Menschen, die man mag. Auch nicht in Jeans und T-Shirt. Oder barfuß. Eher noch nur in Socken. Ok, lassen wir das. Oder im Kino. Keine Ahnung. Leben die eigentlich alle, so richtig?

So. Und jetzt weiß ich nicht, ob ich das alles gut finden soll, oder nicht.

Ach, eigentlich ist es ja auch nicht schlimm.

Meant to last forever.

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