Nach den anstrengenden Tagen in Jakarta fahren wir zu der Familie von Tiwi, Julias Indonesischlehrerin, nach Bogor. Bogor ist eine kleine Stadt im Speckgürtel von Jakarta, und dort gefällt es uns schon deutlich besser als in Jakarta.
Rochim, der Vater und Tiwis Burder, holt uns mit dem Taxi vom Hotel ab. Das überrascht Julia und mich ein wenig, weil er schrieb, dass er uns „mit dem Auto“ abholen würde, wir dachten, er meint sein eigenes Auto.
Immerhin ist das Taxi keines der teuren Bluebird-Taxis, sondern ein „böses“ Taxi, ein sogenanntes Express.Das kostet weniger, ist aber trotzdem recht zuverlässig. Der Fahrer sah jedenfalls nicht so aus, als würde er uns klauen oder abmurksen wollen.
Wir stauen uns die Autobahn entlang Richtung Bogor, fast zwei Stunden lang. Zwei Stunden lang in Deutschland Taxi fahren, das wäre unbezahlbar. Transportmittel sind hier um ein vielfaches günstiger…
Während der Fahrt plaudern wir ein wenig mit Rochim, er spricht erstaunlich gut Deutsch, fließend, versteht (fast) alles, was wir sagen, und hat nur einen schwachen Akzent. Julia und ich sind ziemlich beeindruckt.
Noch eine Sache lernen wir während der Taxifahrt: Ich habe mich gewundert, warum so viele Frauen mit Kleinkindern am Straßenrand stehen, und was die dort machen. Fahren die etwa alle per Anhalter?
Rochim klärt uns auf, denn in Jakarta darf man zu den Rush-Hour-Zeiten nur Auto fahren, wenn mindestens drei Personen im Auto sind, um den Verkehr zu reduzieren.
Die Frauen mit den Kindern zählen als zwei Personen, und wenn nun jemand mit dem Auto in Jakarta fahren möchte, und alleine oder zu zweit im Auto sitzt, kann er sich so jemanden „mieten“. Der fährt dann im Auto mit und bekommt Geld dafür. Die Polizei duldet diese Praxis, was bleibt ihr auch anderes übrig. Nach Ablauf der Stoßzeiten laufen die Frauen mit Kind (oder vereinzelt auch Jugendliche) wieder nach Hause.
Der Weg nach Bogor führt uns durch kleine Siedlungen mit typisch asiatisch-ländlichem Charakter: Dreck, Müll, Kinder in zerrissener Kleidung und Erde in den Haaren, minikleine Häuser und ziemlich heruntergekommene Fassaden, dazwischen hohe Zäune und dahinter neue Villen mit strahlend polierten Vorgärten. Auf den Straßen sind Unmengen von Motorrädern unterwegs, das ist für uns kaum vorstellbar. Wirlich Unmengen. Auf ein Auto kommen vielleicht ein dutzend Motorräder, wenn überhaupt, eher mehr. Was auch logisch ist, denn Autos sind teuer und Motorräder kommen in dem Verkehraufkommen mit Chaos und Stau schneller voran.
Neben den Unmengen von Motorrädern werden die Straßen zudem hauptsächlich von Taxis und riesigen Geländewägen befahren. Kleinwagen und alte Autos sieht man kaum, nur die enormen Schlachtschiffe mit Allradantrieb vom Typ Porsche Cayenne oder BMW X5, allerdings als asiatisches Modell. Den Allradantrieb braucht man auch, das werden Julia und ich noch lernen. Und alle Geländewägen haben verdunkelte Scheiben rundherum. Die Frontscheibe ist abgedunkelt, der Rest der Fenster so dunkel, dass man nicht hineinsehen kann. Keine Chance, rabenschwarz.Und das, obwohl Indonesien eigentlich ein recht sicheres Land ist.
Während wir also durch die Siedlungen zuckeln und immer wieder von Kamikaze-Motorradfahrern (in europäischen Maßstäben gemessen) mit waghalsigen Überholmanövern schockiert werden (ich werde selbst noch auf so einem Kamikaze-Ding mit einem todeswütigen Fahrer fahren… SPOILER), frage ich mich mehr und mehr, wie Rochim wohl wohnt und auf was wir uns da einlassen. Denn wir wollen unter gar keinen Umständen unseren Gastgebern zur Last fallen, weder finanziell noch irgendwie räumlich, dass sie dann kein Schlafzimmer mehr für sich haben oder solche Späße, die ich schon aus China kenne.
[Damals habe ich nach ein paar Tagen gemerkt, dass meine Gastmutter auf dem Boden in der Wohnküche schlief, während ich ihr Schlafzimmer zusammen mit der Tochter zur Verfügung hatte — da habe ich mich schlecht gefühlt, wie man sich sicher vorstellen kann.]
Als wir jedoch in ein Viertel mit Schranke davor und Securities fahren, bin ich ziemlich erleichtert. Und noch erleichterter, als wir Rochims Haus sehen. Hinter einem hohen Zaun, der aber nur aus Gitterstäben und nicht aus einem Stahltor besteht, liegt ein nagelneuer Häuserkomplex aus zwei durch einen großzügigen Wohnraum miteinander verbundenen Häusern.
Mein schlechtes Gewissen flammt noch einmal auf, als Rochim darauf besteht, die Taxirechnung zu bezahlen; das waren fast 16 Euro, das ist eine Menge Geld für eine indonesische Familie, auch für eine reiche.
Wir werden ein wenig schüchtern und steif, aber trotzdem sehr herzlich empfangen. Rochim führt uns stolz durch den unteren Teil des Hauses, im Oberen sind vermutlich die Schlafzimmer, die bekommen wir nicht zu sehen. Die Möbel sind allesamt neu und sehen ziemlich teuer aus, der Stil typisch javanisch. Dunkles, schweres Holz, Schnörkel. Und überall die von mir aus Stilgründen völlig abgelehnten Häkeldeckchen. Alles, was irgendwie hässlich sein könnte, also Taschentuch-Packungen, Wasserspender, Teeschachteln oder Mülleimer, wurden liebevoll in zartes Häkelgewebe gehüllt. Yeah, Baby! Ich liebe das!
Na egal, die Asiaten stehen auf Plüsch und ich muss es ja nicht mein ganzes Leben lang ertragen. Julia und ich bekommen ein Gästezimmer mit eigenem Bad zur Verfügung; das Bad ist nagelneu, allerdings weißt Rochim uns darauf hin, dass die Klospülung kaputt ist. (Ich werde mich in einer ruhigen Minute hinsetzen und das halbwegs reparieren. Jetzt geht die Spülung wieder, allerdings nur, wenn man mit sehr viel Gefühl drückt. Wenn man zu fest auf den Schalter drückt, fliegt alles wieer auseinander…) Außerdem gibt es nur kaltes Wasser (wieso sollte man bei durchschnittlich 30 Grad auch warm Duschen wollen?) und keine separate Dusche, sondern den Schlauch mit Duschkopf aus der Wand und dem Abfluss am Boden. Zudem gibt es kein Waschbecken. Das wird noch witzig werden, wie Julia und ich uns beim Zähneputzen anstellen. Denn der Abfluss unter der Dusche ist der einzige im Bad.
Unser schlechtes Gewissen lindert sich also zusehends ob des schicken Hauses.
Wir werden mit Tee, Keksen und Obst versorgt, während uns stolz die Hochzeitsfotos, die Großmutter Mimi (Mater matrona est), die Ehefrau Itci (sehr lieb, aber ein bisschen schüchtern) und die Kinder präsentiert werden. Die sind aber auch wirklich süß. zwei Jahre und vier Monate alt.
Und sie haben einen Heiden-Respekt vor Julia und mir, den komischen weißen. Im Kulturschock-Indonesien-Buch steht, dass den Kindern Geschichten erzählt werden, in denen die Kinder, wenn sie nicht brav sind, von Weißen geholt und aufgegessen werden. Vielleicht deswegen beäugen uns die beiden sehr skeptisch.
Dann gibt es Abendessen, wir sind sehr unsicher und wissen nicht so genau, was wir wie machen sollen. Aber da Essen ist sehr gut, traditionell indonesisches Gemüse, Rindfleisch, Reis und Sojataschen frittiert. Danach unterhalten wir uns noch ein wenig, dann plant Rochim mit uns noch ein wenig die Reiseroute und anschließend fallen Julia und ich ziemlich tot ins Bett.