5.

Ich lehnte mich an die Wand im Flur und atmete tief durch. Der hatte vielleicht Nerven. Gestern Nacht erst für Ärger sorgen, dann sich verletzen, jetzt vor meiner Tür auftauchen.
Ich hatte am wenigsten von allen möglichen seiner Reaktionen mit einem Blumenstrauß dieser Größe gerechnet, eher damit, dass mir ein Brief von seinem Anwalt ins Haus flattern würde, mit einer Klage wegen fahrlässiger Körperverletzung. Und damit eine Mahnung von der Jugendaufsichtsbehörde, weil er sich um halb eins noch auf der Party befunden hatte.
Ich hatte mir schon eine Strategie überlegt, wie ich mich aus dem Schlamassel wieder hätte herausziehen können, auf einen solchen Ausgang war ich allerdings nicht vorbereitet gewesen.
Ich sah hinunter auf die Blumen, die in meinen Armen lagen. Eine Vase in der Größe besaß ich nicht. Ich überlegte kurz, dann ging ich in meine Putzkammer.
Richtig, oben auf dem Schrank stand ein riesiges, verstaubtes Goldfischglas. Vorsichtig holte ich es herunter.
Zentimeterdicker Staub lag darauf, Fische waren schon seit Jahren nicht mehr darin herum geschwommen. Ich hatte dies als Tierquälerei empfunden und gleich nachdem mir eine Tante das Glas mit zwei Goldfischen geschenkt hatte, die Fische bei einer Bekannten im Gartenteich ausgesetzt. Ich hatte großzügigerweise die Patenschaft für die Tierchen übernommen, was mich eine Dose Futter gekostet hatte. Damit hatte ich mich elegant aus der Affäre gezogen.
Seitdem verstaubte das Glas in aller Ruhe auf dem Schrank.
Ich trug es in die Küche, spülte es ab und füllte es mit Wasser. Der Strauß passte gerade so hinein. Doch als ich die Goldfischkugel ins Wohnzimmer bringen wollte, musste ich feststellen, dass ich sie nicht mehr tragen konnte.
Mann, dachte ich mir, nichts als Ärger mit dem Kerl.
Ich goss das Wasser heraus, stellte die Kugel auf den Couchtisch, stellte das Blumenfeld hinein und füllte das Glas mit einer Gießkanne auf. Dabei verschüttete ich einen Großteil auf dem Tisch. Mein Kater, der Wasserschlachten liebte, sprang auf die Tischplatte und begann, fröhlich in der Pfütze herumzuplanschen. Meine Laune näherte sich dem Nullpunkt.
Nichts als Ärger.
Genervt packte ich den Kater und sperrte ihn ins Klo, wo er, sobald ich die Tür abgeschlossen hatte, kläglich zu maunzen begann. Doch dass er mit seinen nassen Pfoten auf meinem blütenweißen Teppich herumhüpfte, fehlte gerade noch.
Ich wischte die Pfütze auf und ließ mich auf das Sofa fallen. Aus der Toilette hörte ich den Kater miauen und an der Tür kratzen. Das Telefon klingelte.
Ich stöhnte laut auf und griff nach dem Hörer.
„Hi, hier ist Linda“, begrüßte mich eine Kollegin. „Ich habe einen Journalisten von Gossip in der Leitung. Der würde gerne mit der sprechen.“
„Was will er?“, fragte ich, ich war mir sicher, dass das nichts Gutes bedeutete.
„Jason McCarthy. Er war gestern auf deiner Party und hat sich verletzt.“
Ich seufzte. „Ich weiß. Ich hab ihm die Hand verbunden.“
„Er will mehr darüber wissen. Man hat ihn fotografiert, als er nach Hause kam. Betrunken und mit einem Verband.“
„Dass er betrunken war, ist nicht verwunderlich in seinem Alter. Aber das sagst du ihm nicht. Kein Kommentar, schmeiß' ihn aus der Leitung“, meinte ich knapp.
„Bist du dir sicher? Ich meine, mit der Presse sollten wir es uns nicht verscherzen...“
„Ich bin mir absolut sicher. Das geht die überhaupt nichts an. Im Übrigen, ich habe noch ein paar Kontakte zu der Redaktion, wenn der Typ nicht aufpasst, kriegt er 'ne Klage an den Hals.“
„Ok, gut.“ Ich legte auf und hoffte inständig, dass dies die einzige Reaktion der Presse bleiben würde.
Skandalmeldungen in irgendwelchen Teenie-Blättern waren das letzte, was ich gebrauchen konnte.
Als junge und bisher erfolgreiche Eventmanagerin organisierte ich Partys oder andere Veranstaltungen im Großraum München. Da ich diesen Job noch nicht lange machte, konnte ich mir keinen Fehler erlauben, der das Image der Firma, für die ich arbeitete, beschädigen könnte. Negative Schlagzeilen, dass sich ein Münchner Teenie-Star auf einer meiner Partys verletzt hatte, konnten immensen Schaden anrichten.
Gerade um Jason und David McCarthy hatte sich in den letzten Monaten eine regelrechte Hysterie entwickelt, zumindest bei den Mädchen zwischen zwölf und fünfzehn. Wenn eine Verletzung wie diese von der Presse aufgebauscht würde, konnte das nicht nur großen Imageschaden, sondern auch einen Boykott der Partys oder Hass-Briefe bedeuten. Etwas Ähnliches war uns bereits passiert. Auf einem Konzert, dass ich organisiert hatte, war eine Schlägerei ausgebrochen, da der Gitarrist der Band, die gespielt hatte, mit einem Mädchen geflirtet und sie in einer dunklen Ecke geküsst hatte, was ihr Freund, der dummerweise auch auf dem Konzert gewesen war, nicht gerade in Hochstimmung versetzt hatte. Er hatte den Gitarristen geschlagen, worauf sich eine Prügelei zwischen aufgebrachten Fans und seinen Freunden angebahnt hatte. Die Sicherheitsleute hatten das schlimmste verhindert, doch in den darauffolgenden Tagen war die Veranstaltung von der Presse, allen voran Gossip, förmlich zerrissen worden. Die Band hatte die Firma angezeigt, nach ein paar Gesprächen mit dem Management zogen sie die Klage aber doch zurück. Ich hatte großes Glück gehabt, meinen Job wäre ich fast losgeworden.
Nach den Zwischenfällen gestern Abend war ich ein wenig beunruhigt gewesen, ich war erst seit vier Jahren im Geschäft und mit fünfundzwanzig Jahren noch sehr jung, die Versuchung, mich als Sündenbock für etwaige Probleme hinzustellen und zu feuern, war groß. Doch es hatte sich bisher alles zum Guten gewendet, ich war nach dem Besuch von Jason McCarthy erleichtert gewesen.

Ich fuhr in den Club, um die Trümmer des vorherigen Abends zu beseitigen. Um sieben Uhr zog ich mich um und machte mich zurecht, denn ich wollte mit einer Freundin Essen gehen. Um acht Uhr trafen wir uns in einem Restaurant und berichteten uns gegenseitig von den Ereignissen der letzten Tage.
Als ich Bettina von Jason McCarthy und seiner kleinen Verletzung erzählte, drehte sie fast durch. Viel schlimmer war es allerdings, als ich ihr berichtete, dass ich den kleinen Bruder nicht in den Club gelassen hatte.
„Sag mal, spinnst du? Die werden nie wieder auch nur auf eine deiner Partys gehen! Und deren Groupies werden auch nicht kommen! Die Hälfte der Münchner Jugend wird auf deine Veranstaltungen pfeifen, wenn das herauskommt!“, rief sie entrüstet.
„Na, so schlimm wird es nicht werden. Stelle dir mal vor, ich hätte ihn reingelassen, und ihm wäre das passiert. Das hätte vielleicht Ärger gegeben! Und bisher gab es noch keine ernsten, missgünstigen Reaktionen auf gestern Abend.“
„Das kannst du abwarten, dass da noch was nachkommt, da wette ich mit dir.“
„Glaube ich nicht. Jason McCarthy stand heute Nachmittag bei mir vor der Tür und hat einen riesigen Blumenstrauß abgegeben und sich entschuldigt.“
Ihr klappte der Kiefer herunter.
„Waas? Er hat dir Blumen gebracht?“
Ich nickte.
„Er hat sich... entschuldigt?“ Ihre Stimme kiekste etwas.
Ich nickte wiederum.
„Oh mein Gott.“
„Und er hat mich nach meiner Telefonnummer gefragt“, setzte ich noch hinzu.
„Wie bitte? Oh mein Gott, oh Vera... das ist ja...“
„Ja? Was ist das? Total bescheuert, kindisch, oder vielleicht einfach nur unwichtig?“
„Nein, fantastisch, überlege doch mal, was der für Verbindungen hat! Deine Partys werden der Renner werden!“
„Schlag dir das mal ganz schnell wieder aus dem Kopf. Mit solchen eingebildeten, verzogenen Schnöseln will ich gar nichts zu tun haben. Da reichen mir schon unsere Kunden.“
Sie starrte mich entgeistert an. Mir war das egal, je weniger zweitklassige Prominente auf meinen Veranstaltungen herumliefen, desto besser, desto weniger Ärger hatte man mit ihnen. Obwohl, eigentlich war er im Moment der gefragteste Jungschauspieler, der weltweit unterwegs war.
Trotzdem.

Es wurde noch ein lustiger Abend, das Thema Jason McCarthy war bald vergessen und durch den neusten Klatsch aus dem Bekanntenkreis ersetzt worden. Um elf fuhr ich nach Hause und ging ins Bett, am nächsten Morgen musste ich zu einem Treffen mit einem Kunden, der eine Modenschau veranstalten wollte, und da musste ich einigermaßen wach und munter erscheinen.


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