13.
Der nächste Tag war weniger unangenehm, als ich dachte. Nach ein paar Tassen Kaffee, einem ausgiebigen Frühstück und einem Schwimmbadbesuch mit Sauna sah die Welt beinahe wieder fantastisch aus.
Bettina hatte mich ins Schwimmbad geschleift, um mich besser in die Mangel nehmen zu können; natürlich hatte sie um halb neun in der Früh angerufen und mich gefragt, was ich eigentlich am Abend zuvor gemacht hatte. Geistig umnachtet, wie ich gewesen war, hatte ich ihr erzählt, dass ich auf der Geburtstagsparty von Jason McCarthy gewesen war. Sie war schier durchgedreht. Als sich ihr hysterischer Anfall wieder gelegt hatte, hatte sie beschlossen, mit mir „Wellness“ zu machen, um mich körperlich und geistig wieder zusammen zu flicken, wie sie es nannte. Ich war mir sicher, sie hatte mit Bedacht einen Ort ausgewählt, an dem ich ihr so schnell nicht entkommen konnte und sie genügend Zeit hatte, jeden Schnipsel an Information genüsslich aus mir herauszuquetschen.
Wir trieben gerade ziellos in einem Schwimmbecken, als sie es nicht mehr aushielt.
„Sag schon, Vera, erzähl, was ist da mit Jason und dir?“, platzte es aus ihr heraus.
Ich hatte mir einen Spaß daraus gemacht, mit ihr über das Wetter und die Gesundheit ihrer Mutter zu reden, ich wollte testen, wie lange sie durchhalten würde.
„Gar nichts“, antwortete ich entspannt.
„Pfff! Und das soll ich glauben?“
„Es ist ganz harmlos. Eigentlich ging es los, als wir Essen waren...“, begann ich.
„Waass?!“, entfuhr es ihr. Vor Schreck ging sie ein wenig unter und hustete, als sie wieder auftauchte.
Ich musste ihr die ganze Geschichte haarklein berichten. Wie wir Sushi essen waren, die seltsame Szene danach im Auto. Dass er Auto fuhr, obwohl er keine Fahrerlaubnis hatte, schien sie im Übrigen nicht zu stören. Dann, wie er mich auf seine Party eingeladen hatte, die Partyvorbereitungen, die sie nicht weiter interessierten, und die Party selbst. Als ich ihr erzählte, dass er Nina weggeschickt hatte, um sich mit mir zu unterhalten, freute sie sich diebisch, bei dem Gespräch auf dem Sofa rastete sie völlig aus.
„Mann, du bist so blöd! Er wollte dich bestimmt küssen oder sowas!“, rief sie.
„Schwachsinn!“, fauchte ich. „Er will sich mit mir unterhalten, er mag mich. Er würde sich nie im Leben so für mich interessieren, niemals!“
„Mensch Vera, bist du doof? Hast du ein Brett vor dem Kopf? Alles, was er macht, ist doch relativ eindeutig!“
Ich berichtete ihr von diesem seltsamen Gespräch mit Andrew, sie ertrank fast vor Entsetzen über meine Reaktion.
„Sag mal hast du sie noch alle? Andrew hat für Jason abgecheckt, ob da eventuell was gehen würde, und was machst du? Sagst ihm, du wärst nicht hinter ihm her!“ Fast schon wütend starrte sie mich an.
„Das ist doch lächerlich! Sind wir alle Kleinkinder? Und, ich bin ja auch nicht hinter ihm her“, versuchte ich zu erklären.
„Das spielt keine Rolle, wichtig ist, dass Jason jetzt denkt, du wärst nicht an ihm interessiert!“
„Das ist auch ganz gut so, ich könnte ja fast seine Mutter sein!“
„So ein Unsinn, Vera. Das ist Quatsch und du weißt das genau. Sieben Jahre Altersunterschied sind nicht die Welt!“
„Nicht, wenn er 47 ist und sie 40! Aber ich bin verdammt nochmal fünfundzwanzig und er ist achtzehn! Wie stellst du dir das vor? Das ist doch irrsinnig!“
„Das ist nicht irrsinnig, das ist nur ungewöhnlich. Aber jetzt hast du dir das verbockt.“ Sie sah sehr böse aus.
Ich beschloss, sie abzulenken und erzählte ihr von Nina und dem Koks, das aus ihrer Nase rieselte.
Bettina beeindruckte das nicht weiter, sie meinte, alle Mädchen in diesem Kreisen würden irgendwas einwerfen, das sei zur Zeit in Mode und eine Art Statussymbol.
„Das sind Drogen! Das ist keine Mode wie schwarze Fingernägel! Das ist gefährlich!“, rief ich entrüstet.
„Ach komm schon, Vera, auch nicht gefährlicher als Alkohol, wenn man sauberes Zeug hat und es richtig macht. Und nicht übertreibt. Es macht dich ja nicht abhängig wie Heroin oder so.“
„Ah, schön, bei Heroin sind wir uns also einig? Natürlich macht es abhängig, psychisch! Wenn du das Zeug nimmst, um dein Leben aufzuwerten, wie willst du es denn dann ohne Drogen ertragen? Danach?“
„Vera, reg dich nicht auf. Das ist ne Phase, die wird schon wieder normal und irgendwann auch erwachsen. Außerdem, was kümmert dich Nina? Lass sie doch, sie war immer schon ein wenig hohl. Du hast doch nur Angst, dass dein Jason sich auch das Zeug in die Nase zieht, oder?“
„Jason? Nie im Leben, der doch nicht!“, rief ich entrüstet.
„Ach ja? Bist du dir da sicher? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass er auf seiner Geburtstagsparty, wenn alle seine Lieblingsfreundinnen koksen, nichts nimmt? Das glaubst du doch selber nicht!“ Sie sah mich zweifelnd an.
„Keine Ahnung. Er war auf jeden Fall normal, so weit ich das einschätzen kann, nicht so abgedreht wie Nina. Die war ja mit einem Mal total komisch, völlig aufgelöst und emotional.“
„Bist du dir sicher, dass Jason völlig normal war? Und überhaupt, was heißt bei ihm normal?“
„Na ja, er war vielleicht körperlich ein wenig zutraulicher als vorher, aber das liegt daran, dass wir uns jetzt einfach ein bisschen besser kennen“, überlegte ich.
„Und wenn es doch an Drogen liegt?“ Sie sah mich ernst an.
„Nein, das glaube ich nicht. So dumm ist er nicht.“
„Du weißt doch selbst um die ganzen Skandale und Exzesse, ihre Partys und Allüren. Der kleine, David, nimmt auf jeden Fall ab und an mal was, stand ja groß und breit in der Zeitung. Und er auch, jede Wette. Ich bin mir sicher, dass er auch schon wegen Drogenproblemen in der Presse aufgetaucht ist.“
„Aber tut das nicht jeder Schauspieler mal? Ich meine, es werden doch jedem einigermaßen bekannten Star irgendwelche Depressionen, Alkohol- und Drogenprobleme angedichtet“, wiegelte ich ab.
Bettina schien das nicht zufrieden zu stellen, doch wir wechselten bald das Thema. Bis auf Spekulationen hatte wir ohnehin nichts.
Später im Whirlpool griff sie das Thema Jason noch einmal auf. „Und, was hast du jetzt vor? Wie geht’s weiter?“, fragte sie.
„Keine Ahnung“, meinte ich ehrlich.
„Wirst du ihn anrufen?“
„Ich hab doch nicht mal seine Telefonnummer. Und selbst wenn, warum sollte ich? Bis jetzt hat er sich immer bei mir gemeldet, wenn er was wollte.“
„Aber er wird sich nicht mehr melden, jetzt, wo dieser Andrew rausgefunden hat, dass du nicht an ihm interessiert bist.“
„Aber er ist doch auch nicht an mir interessiert, höchstens an mir als Mensch. Nicht als Freundin. Du hast doch Nina gehört.“
„Freundin, du hast es selber gesagt!“, jubelte sie. Ertappt.
„Affäre, gefällt dir das besser?“, fragte ich säuerlich.
„Viel besser. Klingt ungezwungener. Und dreckiger.“ Sie gluckste vor Lachen.
„Wie bitte?“ Ich spritzte sie nass. Der Herr gegenüber, von dem ich mir sicher war, dass er die ganze Zeit mit halbem Ohr zugehört hatte, warf uns erboste Blicke zu.
„Also, kleine unschuldige Vera, was hast du jetzt vor?“
„Abwarten.“
„Klar, bleibt dir ja auch nichts anderes übrig.“
„Mhm.“
Wir versanken in einer Dunstwolke, benebelten uns mit ätherischen Ölen und tauchten erst nach einer Stunde wieder daraus auf. Die Sauna hatte die unruhigen Gedankenfetzen in eine bleiern schwere Regungslosigkeit verwandelt.