12.
Er trug einen schwarzen, perfekt geschnittenen Anzug und eine Fliege zu seinem weißen Hemd, die Haare hatte er streng gescheitelt und gekämmt. Er sah gut aus, ohne Zweifel.
Wie Leonardo DiCaprio in seinen besten Tagen. Er war ja auch fast ein junger Leonardo.
Er lächelte mich an, als ich auf ihn zu trat. Ich wollte ihm die Hand geben, er umarmte mich und strahlte, als ich ihn begrüßte.
„Wie schön, dass du gekommen bist. Du siehst fantastisch aus“, bemerkte er mit einem dezenten Blick auf mein Outfit.
„Ich wollte mich doch an dein Motto halten“, meinte ich, er lächelte wieder.
Ich überreichte ihm mein Geschenk. „Ich hab erst in einer halben Stunde Geburtstag, kann es aber kaum noch erwarten, soll ich es gleich aufmachen?“, fragte er.
„Wie du willst“, antwortete ich.
„Was ist denn drinnen?“, fragte er mit einem breiten Grinsen, er wusste es bereits, die Verpackung verriet es. „Eine Schallplatte?“
„Richtig. Aber den Rest musst du schon selbst rausfinden.“
„Na gut“, meinte er, dann wickelte er vorsichtig das Papier ab. „Julie London!“, sagte er anerkennend und lachte, nachdem er einen Blick auf das Cover geworfen hatte.
„Passt zwar vom Alter her nicht ganz in die Zeit, aber ich dachte mir, ich halte mich wenigstens stilistisch an das Motto“, bestätigte ich.
„Das ist Freakzeug, das kennt doch kein Mensch! Aber ich steh' drauf“, rief er begeistert. „Super, vielen Dank!“ Er schloss mich noch einmal in seine Arme und drückte mich sanft. Sein Oberkörper fühlte sich ziemlich gut an.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Nina auf ihn zu lief.
„Jason!“, rief sie.
Er seufzte und ließ mich los, um sie zu begrüßen. Sie funkelte mich finster an und stürzte sich auf ihn.
Sie küsste ihn stürmisch und drückte ihm ein kleines, hübsch eingepacktes Päckchen in die Hand. „Fehlt dir noch in deiner Sammlung“, meinte sie mit einem Augenzwinkern, „aber erst nachher aufmachen!“
„Klar“, sagte er und drückte einem Kellner das Geschenk in die Hand.
„Was hast du da?“, fragte Nina und deutete auf die Schallplatte.
„Eine Platte von Julie London. Das ist eine Jazzsängerin“, erklärte er. „Von Vera.“
„Cool“, meinte sie und sah ihn zweifelnd an. „Gehen wir was trinken?“
„Gleich“, antwortete er, „ich muss mich zuerst um meine Gäste kümmern. Lass dir doch schon mal ein Glas Champagner zum Anstoßen bringen, ich komme dann nachher zu euch.“
Mit „euch“ schien er mich jedenfalls nicht zu meinen, denn er widmete seine Aufmerksamkeit wieder mir.
„Wie geht es dir?“, fragte er. Nina verzog sich mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck. Die Runde ging auf mich, dachte ich.
„Gut. Die Feier am Freitag war ein Hit. Und dir? Wie waren die ersten Drehtage?“
„Langweilig. Nur das allgemeine Blabla und die Einweisung. Zeitplan und sowas. Die haben wohl Probleme mit dem Wetter und wollen den ersten Außendreh verschieben.“
„Aha.“
„Ist langweilig, hab ich doch gesagt.“ Er grinste.
„Jason!“ Eine helle Stimme trällerte uns entgegen.
„Entschuldige bitte“, Bedauern schwang in seiner Stimme, er hätte mich wohl gerne noch mehr ausgequetscht.
„Du bist der Gastgeber, ausnahmsweise“, meinte ich belustigt und zog mich zurück. Eine umwerfend hübsche Blondine umarmte ihn. Sie trug ein schwarzes Spitzenkleid und Spitzenhandschuhe, dazu einen kleinen Hut, unter dem große Locken hervorlugten. Sie war wunderschön.
Ich kannte sie aus Filmen, sie war ebenfalls Schauspielerin. In einem Film sogar seine Filmpartnerin.
Ich seufzte, als ich all die schönen und teilweise bekannten Gesichter um mich herum sah und ging zur Bar.
Der Barkeeper dort reichte mir ein Glas Champagner und meinte: „Bis um zwölf gibt es nichts anderes.“
„Für mich ist das kein Problem“, meinte ich mit einem Augenzwinkern, er lachte.
„Für manch anderen hier wohl schon, hab ich so den Eindruck. Der Gin Tonic wird sehr vermisst.“
Ich stellte das Glas auf dem Tresen ab, sofort überkam mich meine berufliche Gewohnheit.
„Wie läufts, wie ist die Stimmung?“
„Oh, ganz hervorragend. Vielleicht etwas angespannt, aber das legt sich bald. Um zwölf kommt der andere DJ, also der aus New York.“
Ich nickte, als ich die dezente Swing-Musik bemerkte, die im Hintergrund lief.
Dann setzte mich auf einen Barhocker und sah mich um.
Der Club füllte sich scheinbar schlagartig, mit wurde klar, dass er die Wagen wohl so bestellt hatte, dass alle mehr oder weniger gleichzeitig um elf hier ankamen.
An der langen Wand gegenüber war ein Buffet aufgebaut, ich ging hinüber, um einen Blick darauf zu werfen. Stilvolle Köstlichkeiten, da hatte sich jemand viel Mühe gegeben.
Ich nippte an meinem Glas, natürlich hatte er das beste vom besten gewählt.
Um kurz vor zwölf warf ein Beamer einen Countdown an die Wand, Jason kam quer durch den Club zu mir herüber und zog mich hinter sich her zu einer kleinen Gruppe von Jugendlichen. Seine engsten Freunde. Einen kurzen Moment setzte mein Herz aus, Nina blitzte mich grimmig an.
Wir zählten gemeinsam die letzten zehn Sekunden herunter, die Stimmung war bombig.
Die Gläser klirrten aneinander, die Gäste jubelten und stürzten sich alle gleichzeitig auf ihn, um ihm zu gratulieren, allen voran Nina. Ich fing sein Glas auf, als ihn die ersten von allen Seiten umarmten und trat ein paar Schritte zurück. Sie sangen und klatschten, kreischten und jubelten alle durcheinander, es war fantastisch.
Laute Musik setzte ein, der DJ war da und legte auf die Sekunde genau los.
Ich ließ mich auf einem der weißen Sofas nieder und beobachtete das irre Treiben.
Nach einer Weile kam die schöne Blonde zu mir und setzte sich. Wir unterhielten uns eine Weile, es war offensichtlich, dass sie sich für mich interessierte. Sie quetschte mich beinahe aus, woher ich Jason kannte, was ich so von ihm hielt, was ich arbeitete, welches Auto ich fuhr, alles mögliche. Sie fuhr einen Ferrari, es war beinahe klar gewesen.
Nach einer halben Stunde, die meisten waren mit dem Gratulieren wohl schon dran gewesen, legten sich zwei Hände auf meine Schultern, und Jason beugte sich über mich.
„Hier hast du dich versteckt“, meinte er belustigt.
Die Blondine, die Antonia hieß, entschuldigte sich höflich und verschwand.
Jason schwang sich über die Lehne und landete zielsicher neben mir.
„Du Arme, ich hätte nicht so viel über dich reden sollen. Hat Toni dich sehr in die Mangel genommen?“, fragte er und grinste breit.
„Es war erträglich.“
„Tja, sie ist ein wenig eifersüchtig.“ Er sah mit einem Mal sehr ernst aus.
„Eifersüchtig? Auf mich?“, fragte ich ungläubig.
„Das sollte sie auch sein“, meinte er mit festem Blick und beugte sich ein wenig zu mir, ganz leicht.
Ich schwieg und starrte ihn an. Seine Augen waren ein wenig vom Alkohol gerötet, ganz leicht. Die Fliege war weg, ebenso wie das Jackett, sein Hemd ein paar Knöpfe geöffnet.
„Wie gefällt es dir?“, unterbrach er das Schweigen.
„Gut, du hast eine sehr authentische Party. Das Essen ist ausgezeichnet“, meinte ich anerkennend.
„Die meisten Gäste haben sich daran gehalten. Aber so hübsche Haarwellen wie du hat niemand.“
„Danke“, sagte ich, ich flüsterte fast.
„Gern geschehen.“ Er hob die Hand, dann ließ er sie wieder sinken.
„Alles Gute zum Geburtstag.“ Leise gratulierte ich ihm und drückte ihm die Hand. Er zog mich in seine Arme.
Ich war darauf gefasst gewesen und entspannte mich.
„Danke“, raunte er nahe an meinem Ohr. „Schön, dass du gekommen bist. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das freut.“ Sein Herz klopfte schnell, ich konnte es spüren.
Er ließ mich los und griff nach meinen Händen.
Unsicher sah ich ihn an.
„Ich“, begann er, jemand tippte ihm auf die Schulter.
„Schau mal, die Zwillinge sind da, deine allerbesten Freundinnen“, sagte eine dunkle Stimme.
Jason wandte verärgert den Blick von mir ab.
„Ja? Toll!“, entfuhr es ihm.
Ein dunkelhaariger, gutaussehender Junge stand hinter uns und sah ihn bedeutungsvoll an.
„Ist schon klar“, rief Jason und sprang auf.
Er beugte sich noch einmal zu mir und meinte mit Bedauern in der Stimme: „Ich hätte mich sehr gerne mit dir unterhalten. Vielleicht klappt es nachher, ich werde dich suchen.“
Es klang fast wie ein Versprechen. Dann folgte er dem Jungen.
Na also, er wollte sich mit mir unterhalten, schoss es mir durch den Kopf. Ganz harmlos.
Ich lehnte mich in der Couch zurück und hob mein Glas an die Lippen.
Nach ein paar Stunden kam er tatsächlich. Ich tanzte gerade mit ein paar Mädchen in einem kleinen Kreis, ich hatte schnell Anschluss gefunden. Es war leicht, mit den anderen Gästen ins Gespräch zu kommen. Damit hatte ich nicht gerechnet, waren die meisten doch zumindest zweitklassige, aber eher noch bestens bekannte Prominente. Doch sie schienen alle recht entspannt und vertrauensselig.
Ich war etwas angetrunken. Ab und zu hatte ich ihn zwischen den Menschen entdecken können, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sein Versprechen einlösen würde.
Er legte mir die Hände auf die Hüften und löste mich aus dem Kreis. „Tanzt du mit mir?“, fragte er strahlend lächelnd, „gerne“, erwiderte ich.
Er hob den Arm weit über seinen Kopf und winkte. Die Musik ging langsam von durchdringenden House-Beats in zarten Swing über. Er zog mich ein Stück enger an sich, ich legte meine Arme auf seine Schultern.
„Für dich“, murmelte er und drehte mich langsam.
Wir tanzten eine Weile, mein Herzschlag und Atem beruhigten sich endlich, ich schimpfte mich in Gedanken. Meine Hormone gingen mit mir durch.
Das Lied dauerte unendlich lang, die Zeit verging unendlich langsam. Er hielt mich fest, ich ertappte mich dabei, dass ich es genoss.
Ich spürte seinen Atem an meinem Gesicht, manchmal streiften seine Haare meine Haut, seine Lippen meine Ohren. In meinem Kopf rauschte es wieder.
Die Spannung wurde beinahe unerträglich, als das Lied endete. Die Beats setzten wieder ein, doch er ließ mich nicht los, er rückte nur ein Stück von mir weg, wir tanzten weiter. Ich sah, dass Nina und Antonia ganz in unserer Nähe standen, Nina regte sich fürchterlich auf, die andere redete auf sie ein.
Wahrscheinlich würde sie mir am Liebsten den Hals umdrehen. Ich grinste in mich hinein. Zwei zu Null für mich.
Die Stimmung wurde ausgelassener, wir tanzten noch weitere vier oder fünf Songs, dann gesellten sich Nina und die Blondine zu uns, mit drei anderen Mädchen und dem großen dunkelhaarigen Jungen von vorhin.
Zwei der Mädchen mussten die Zwillinge sein, von denen sie gesprochen hatten. Sie waren beide mittelgroß, platinblond und blauäugig, trugen ausgefallene Kleidung mit viel Gold und Glitzer und sprachen Englisch mit starkem amerikanischen Akzent. Sie umgarnten Jason und himmelten ihn an. Mir wurde fast schlecht, als ich es sah.
Der Junge kam nach einer Weile zu mir herüber und nahm mich Beiseite.
Wir gingen zu einer Bar, er bestellte zwei Drinks und gab mir einen.
Wir stießen an, tranken, dann sah er mich ernst an.
„Du richtest da ein ganz schönes Durcheinander an“, begann er schließlich das Gespräch.
„Warum?“, fragte ich unschuldig.
„Na ja, die ganze Zeit über haben ihn die Mädels in Ruhe gelassen, weil sie immer dachten, es ist nicht der richtige Zeitpunkt, dass er zu selten da ist und so. Aber jetzt, wo er sich offensichtlich für eine Dame interessiert, hat die große Jagd begonnen.“
Ich verstand noch nicht, worauf er hinauswollte.
„Sie stehen alle auf ihn. Schau sie dir doch an!“
„Ja, und?“
„Sie haben Angst, dass es zu spät sein könnte, wenn sie ihn jetzt nicht anbalzen.“
Ich musste über seine Wortwahl lachen, er verstand das falsch und begann erneut: „Die schlagen sich gerade die Köpfe ein, sogar die Twins sind von ihrem Dreh aus England angereist, weil sie Angst haben, sie könnten was verpassen. Sie drehen mit ihm zusammen. Er ist das begehrenswerteste Objekt im Moment auf dem Männermarkt.“
„Das ist doch völlig krank!“, rief ich.
Er nickte traurig. „Schön, das du das so siehst. Aber was willst du dann von ihm?“
„Keine Ahnung? Was will er von mir?“ Ich wurde ein wenig wütend.
„Das ist eine interessante Frage. Er mag dich sehr gerne, was ich bis jetzt mitbekommen habe. Er hat mir erzählt, dass ihr euch gut unterhaltet.“
„Siehst du, wir unterhalten uns. Lass doch die Mädchen spinnen, was soll das ganze?“
Er begann lauthals zu lachen und konnte nicht mehr aufhören. „Haha, das ist komisch, weißt du das? Das ist verrückt, haha, so verrückt...“ Ich wartete geduldig, bis er sich wieder im Griff hatte und starrte ihn solange verständnislos an.
„Was ist?“, fragte ich ihn schließlich.
„Du weißt schon, dass jede Frau auf dieser verdammten Party hinter ihm her ist, oder?“
„Ja“, ich konnte es mir zumindest denken.
„Alle, außer dir“, sagte er langsam und sah mich forschend an.
Ich nickte. „Alle, außer mir.“
Sein Gesicht war ruhig und ausdruckslos.
„Dann sei vorsichtig.“
Er nahm sein Glas und stieß mit mir an. „Auf Jason.“
Verwirrt leerte ich meinen Drink. Er mischte sich wieder unter die Leute auf der Tanzfläche.
Ich blieb noch eine Weile, dann machte ich mich auf den Heimweg. Ich konnte Jason nirgends finden, um mich zu verabschieden, deswegen gab ich Andrew Bescheid, dem dunkelhaarigen Jungen.
Ich wollte den Club gerade verlassen, da stolperte mir Nina über den Weg. Ihre Augen waren gerötet, ihr Gesicht glänzte. „Vera! Gehst du schon?“, fragte sie erstaunt.
„Schon? Es ist halb fünf“, erklärte ich.
„Ach so.“ Sie kicherte. Irgendwie war sie komisch.
„Tut mir Leid wegen Jason, ich wollte nicht gemein zu dir sein“, sagte sie und sah betroffen aus.
„Ist schon in Ordnung“, meinte ich abwesend.
Plötzlich schlang sie ihre Arme um mich und presste mich an sich. „Ich wusste nicht... Es tut mir leid...“ Sie brach in Tränen aus.
„Nina? Was ist los mit dir?“
„Nichts.“ Sie schluchzte und wischte ihre Tränen weg. Da sah ich es. Unterhalb ihrer Nase glitzerte es ein wenig.
„Was? Was schaust du so?“, fuhr sie mich an.
„Sag mal, hast du was genommen?“, fragte ich sie scharf.
„Genommen? Hihi, nein, nein, hihi.“ Sie kicherte.
Ich sah mich aufmerksam im Club um. Und ich entdeckte, was ich suchte. Keine vier Meter von mir entfernt zog sich eine der platinblonden Zwillinge gerade eine Line feines Kokain in die Nase.
„Sag mal, spinnst du?“, rief ich und sah sie entgeistert an. Nina zuckte nur mit den Schultern.
„Nina!“ Ich packte sie an den Schultern und schüttelte sie.
„Hör auf! Hab dich nicht so!“, schrie sie mich an.
Schnell ließ ich sie los.
„Ist doch nichts dabei, es entspannt dich nur, dass du besser feiern kannst.“
„Ah ja, besser feiern? Na dann, viel Spaß noch. Ich hätte nie gedacht, dass du das machst. Dass du so kaputt bist!“
Ich ließ sie stehen und sprang die Stufen hinunter auf die Straße.
Ich wollte mir ein Taxi nehmen, da trat der Türsteher zu mir und meinte: „Da drüben sind die Wagen, die bringen Sie nach Hause.“
Ich nickte und setzte mich in den ersten. Eine junge Frau saß am Steuer, ich nannte ihr meine Adresse. Sie gab sie in ein Navigationsgerät ein und fuhr los.
Ab und zu warf sie mir einen besorgten Blick zu, doch sie sagte nichts.
Endlich waren wir vor meiner Haustür. Ich bedankte mich und wünschte ihr noch einen schönen Abend, dann rannte ich fast die Stufen hinauf zu meiner Wohnung. Ich wusste nicht, ob ich heulen sollte. Dieses dumme, dumme Kind, dachte ich wütend. Ich wollte sie am liebsten schlagen. Ihr die Augen öffnen.
Müde fiel ich ins Bett und schlief sofort ein.