11.

In der Küche ließ ich ein Glas mit eiskaltem Leitungswasser volllaufen und stürzte es hinunter. Es brannte in meinem Hals, es war mir egal. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich mir einen doppelten Espresso machen sollte, ich verwarf die Idee jedoch bald.
Langsam ging ich in mein dunkles Wohnzimmer und ließ mich auf das Sofa fallen.
In meinem Kopf rasten die unmöglichsten Gedanken wie auf einer achtspurigen Autobahn. Verzweifelt suchte ich die Schilder zur Ausfahrt.
Ich musste dringend über die Situation nachdenken, sehr dringend.
Jason raste durch meine Hinrwindungen, die verschiedenen Bilder von ihm, und immer wieder die Frage: Was wollte er? Was wollte er nur von mir?
Ich war sieben Jahre älter als er und glatter Durchschnitt, er war ein Megastar, sah unglaublich gut aus, hatte offensichtlich Geld wie Heu und war so begehrt, dass ihn die Paparazzi verfolgten. Er konnte jede scheiß Frau auf der ganzen Welt haben, wahrscheinlich würde ihn nicht mal Cameron Diaz von der Bettkante stoßen, was wollte er von mir, ausgerechnet von mir?
Ich ließ seine Sätze durch meinen Kopf wirbeln. Er war charmant, ohne Zweifel, er war ein guter Schauspieler und mit allen Wassern gewaschen, er war sich seiner Wirkung auf Menschen ganz genau bewusst. Was erhoffte er sich von mir? Wollte er eine Eventmanagerin im Bekanntenkreis, die ihm seine Partys zu einem Freundschaftspreis ausrichtete? Ich verwarf den Gedanken sogleich, es war lächerlich. Mein Chef war ziemlich bekannt in der Szene, doch an ihn konnte er auch leichter herankommen als über mich.
Er hatte mich zu seinen Freunden gezählt, zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen. Er hatte gesagt, er mochte mich. Dass es ihm gefiel, sich mit mir zu unterhalten.
Vielleicht war es das. Er hatte Bewunderer und Verehrer wie andere Haarschuppen auf dem Kopf, vielleicht hatte er aber genau die satt. Möglicherweise machte es ihm Spaß, sich mit mir zu treffen, weil er sich mit mir ganz normal unterhalten konnte, weil mir seine Prominenz bis zu einem gewissen Grad egal war, weil ich mich mit ihm ernsthaft befasste, weil er mich als Mensch interessierte, nicht nur als Jason McCarthy, den Schauspiel-Star.
Vielleicht konnte ich ihm mit meinen Gesprächen eine gewisse Normalität zurückgeben, obwohl ich mir nicht sicher war, ob er die überhaupt vermisste.
Ergab das einen Sinn?
Ich stöhnte laut auf, mein Schädel fühlte sich an, als würde er zerbersten.
Zäh schleppte ich mich ins Bad, schälte mich aus meinem Kleid und schminkte mich ab. Er hatte gesagt, ich sähe bezaubernd aus. Was für ein Schwachsinn. Ich war fünfundzwanzig, was man mir auch ansah.
Schnell putzte ich mir die Zähne und ließ mich in mein Bett fallen. Es dauerte eine Weile, bis ich eingeschlafen war. Ich träumte wirre Dinge, allerdings kam er nicht darin vor.

Die nächsten zwei Tage verliefen entspannt, meine Organisation klappte wie am Schnürchen, mein Chef war sehr zufrieden mit mir und bot mir an, am Montag frei zu nehmen. Ich verfluchte ihn einen Moment dafür, hatte ich nun doch keine Ausrede mehr, nicht zu Jasons Geburtstagsfeier zu gehen.
Am Freitag Morgen hatte ich seine Einladung im Briefkasten. In einem sorgfältig adressierten Kuvert lag eine kleine Karte, an mich gerichtet, mit einer schlicht formulierten Einladung. Es standen weder der genaue Zeitpunkt noch Ort darauf, sondern nur, dass mich am Sonntag um halb elf Uhr ein Wagen abholen und zur Party bringen würde. Und das Motto, das den Dresscode implizierte: Geradewegs auf die Zwanziger zu.
Ich überlegte gerade, ob ich etwas passendes im Schrank hatte, als mein Telefon läutete.
„Buchner?“, meldete ich mich, ich rechnete fest damit, dass es Bettina war, sie hatte seit vier Tagen nichts mehr von sich hören lassen. Ich wollte mich wieder etwas höflicher am Telefon geben, das war ich ihr schuldig. „Hi, hier ist Nina.“
„Oh!“, entfuhr es mir überrascht.
„Ja, also, Jason hat mir gesagt, dass du auch zu seiner Party eingeladen bist.“ Sie klang immer noch etwas schockiert von der Nachricht. Sie konnte das wohl nicht so ganz verstehen.
„Ja, ich habe die Einladung gerade bekommen“, bestätigte ich.
„Ich auch, und, also, äh, ich wollte dich fragen, wie du das Motto findest und, äh...“ Sie stockte.
„Ja?“
„Also, und, was es, ähm bedeutet.“
Einen Moment lang dachte ich, ich müsste lauthals loslachen, doch ich riss mich zusammen.
„Weißt du, wir dachten, dass du als Eventmanagerin dich damit vielleicht besser auskennst als wir... und uns weiterhelfen kannst“, erklärte sie. Ich überlegte, wie schwer es wohl für sie gewesen war, mich anzurufen und mich das zu fragen.
„Wer ist denn uns?“, wollte ich wissen.
„Ach, ich und noch so ein paar Freunde von Jason.“
Eine kurze Pause entstand. Wie viele Leute hatte er wohl eingeladen?
„Vera?“ Sie klang ein wenig schüchtern.
„Ja?“
„Weißt du, was es bedeutet?“
„Ich glaube, es bedeutet, dass das Motto der Party die Zwanziger sind, die Golden Twenties.“
„Ah“, machte Nina.
Ich schaltete eindeutig schneller als sie.
„Du weißt schon, diese Epoche, die 1920er Jahre mit Charleston, den schönen Kleidern und dem Champagner.“
„Ach ja, ja, ich weiß.“ Sie schien endlich begriffen zu haben, „ach so.“
„Genau.“
Sie schwieg wieder, dann wechselte sie das Thema.
„Sag mal, Vera, was läuft da eigentlich mit dir und Jason?“
War es nur ein Vorwand gewesen, um mich anzurufen?
„Nichts, also, keine Ahnung, was du meinst.“ Ich wusste wirklich nicht, was sie genau meinte.
„Ich meine, ob da was läuft, zwischen euch beiden.“
„Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte ich. Es war die reine Wahrheit.
„Weil, es ist nämlich so...“, begann sie, ihre Stimme schien ein wenig belegt zu sein, „ich dachte, dass Jason und ich, na ja, mehr als nur Freunde wären, verstehst du?“
„Klar.“ Beiläufig rutschte mir das Wort heraus. Was wollte sie mir eigentlich sagen?
„Er hat immer so Andeutungen gemacht, dass wenn er mehr Zeit hätte und längere Zeit am Stück in München wäre, dass er dann, na ja, gerne mit mir eine Beziehung hätte.“ Sie sprach das Wort äußerst seltsam aus.
„Und?“, fragte ich ungeduldig.
„Jetzt trifft er sich mit dir. Und lädt dich zur Premiere ein. Und ich frage mich, was das soll.“ Sie schien wirklich bedrückt zu sein.
„Er wollte eben, dass ich seinen Film sehe, um ein besseres Bild von ihm zu haben. Nach der Sache mit seiner Hand.“
„Eben, ich dachte, du kannst ihn nicht ausstehen. Vor drei Wochen meintest du noch, dass er ein arroganter Schnösel ist.“
„Der Meinung bin ich immer noch, nur dass er ein arroganter Schnösel mit ausgezeichneten Manieren ist“, antwortete ich.
„Was meinst du damit?“ Sie atmete etwas erregter.
„Dass er nett sein kann, wenn er will, mehr nicht.“
„Ja. Mit mir ist er nie alleine essen gegangen.“
„Das kommt sicher noch. Er wollte bei mir vielleicht nur etwas gut machen“, versuchte ich sie zu beruhigen.
„Vera, wir sind eigentlich fast zusammen“, platzte es aus ihr heraus, „das wollte ich dir sagen.“
„Klar“, meinte ich.
„Ich meine, es ist ja eh egal und völlig abwegig, dass Jason... Also, äh, ich meine, du bist ja viel älter als er...“
„Du auch“, bemerkte ich trocken.
„Aber nur zwei Jahre und nicht sieben“, giftete sie.
„Schon gut, ich hab schon verstanden“, wiegelte ich ab. Es war wirklich abwegig. Er mochte mich vielleicht als Menschen, weil er sich mit mir unterhalten konnte. Aber warum zur Hölle rief sie dann an? Um mir klarzumachen, dass ich in ihr Revier eingedrungen war und sie es verteidigen würde?
„Ja, okay. Ich wollte es dir nur sagen, nicht, dass du dir da falsche Hoffnungen machst.“ Wie kollegial von ihr.
„Ja, danke, das ist nett von dir. Ich mache mir keine Hoffnungen, wie du schon gesagt hast, ich bin viel älter als er. Ich glaube, dass ist eine ganz andere Ebene als bei euch beiden.“ Das glaubte ich wirklich.
Sie schien erleichtert zu sein, jedenfalls klang ihr Ton jetzt versöhnlicher.
„Ja, stimmt. Wir sehen uns dann am Sonntag auf der Party.“
„Bis dann.“
„Bis dann.“ Sie legte auf.
Ich klatschte mein Telefon in seine Halterung und atmete tief durch.
Diese Kuh, schoss es mir durch den Kopf, diese arrogante Kuh.
Jedenfalls nicht arroganter als er, sagte eine leise Stimme in meinem Hinterkopf.
Sie hatte ja recht. Es war eine komische Situation, aber ich war eben viel älter als er und Nina war außergewöhnlich hübsch, ein Model, war seinesgleichen, ganz anders als ich.
Ich widmete mich meinem Kleiderschrank und überlegte, was ich ihm schenken sollte.

Ich fand kein passendes Kleid, daher entschied ich mich für den Marlene-Dietrich-Style, einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse. Ich musste sie ja nicht bis oben hin zuknöpfen, dachte ich und musste grinsen.

Die nächsten drei Tage waren stressig. Das Event an diesem Tag lief zwar äußerst zufriedenstellend, doch entspannend waren solche Veranstaltungen nie. Und am Wochenende hatte ich noch zwei kleinere Veranstaltungen, bei deren Organisation ich mithalf, eine Modenschau und eine Parfumvorstellung.
Todmüde legte ich mich am Sonntag Nachmittag für drei Stunden ins Bett, ich wollte ungern auf Jasons Party einschlafen.
Um acht, nach vier Stunden Schlaf, stand ich auf und aß die Reste der Pizza vom Vortag auf. Ich hatte mich ein wenig überfressen, doch ich wollte nicht noch einmal wie nach den drei Gläsern Sprizz verkatert aufwachen.
Ich duschte und zog mich um, legte mir Wellen in die Haare und fixierte sie mit Haarspangen, die ich aus dem Fundus geklaut hatte. Geborgt. Eine Freundin arbeitete am Theater, ihr Vater war dort Chefintendant, und hatte mir illegalerweise den Schlüssel nachmachen lassen, damit ich mich für die Veranstaltungen in der Requisite bedienen konnte. Ohne Connections lief nichts in diesem Business, aber auch gar nichts. Mein Chef wurde von meiner Deko oftmals beinahe ekstatisch, doch ich verriet ihm nicht, woher ich die Sachen hatte, und wohin ich sie wieder verschwinden ließ.
Um halb elf war ich mit meinem Äußeren fertig und wurde nervös. Ich zupfte Flunseln von meiner Kleidung, die gar nicht da waren und lief in meiner Wohnung auf und ab.
Endlich klingelte es unten. Ich schlüpfte in meine Schuhe und nahm das Geschenk vom Tisch, warf einen letzten Blick in den Spiegel und nickte zufrieden. Der dunkelrote Lippenstift passte perfekt.
Ich dachte kurz an die bösen Blicke, die mir Nina zuwerfen würde, sollte sie doch. Im Gegensatz zu ihr wusste ich zwar nicht so genau, was ich eigentlich wollte, aber Jason schien es zu wissen, das genügte. Wenn er sich mit mir unterhalten und mit Nina eine Beziehung wollte, nur zu.
Ich hüpfte die Stufen hinab. Ein dunkler BMW wartete in der Einfahrt, ich kannte den Fahrer. Vom Flottenservice, ich arbeitete oft mit ihnen zusammen.
Er begrüßte mich überschwänglich und zog anerkennend die Augenbrauen hoch. „Frau Buchner! Wenn Sie nicht meine Tochter sein könnten...“ Er pfiff durch die Zähne.
Er stand kurz vor der Pensionierung.
„Ich war erstaunt, sie zu fahren, heute Abend. Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Bekannte von Jason McCarthy sind.“
„Ich auch nicht. Also, äh... Erst seit kurzem“, erklärte ich und stieg ein, er schloss sanft die Autotür.
Er stieg ebenfalls ein und ließ den Motor an, der Wagen schnurrte leise wie eine Katze.
„Und wo geht es hin?“, fragte ich gespannt.
„Das darf ich leider nicht verraten, aber sie werden schon sehen“, meinte er mit einem Lächeln.
„Er hält es wirklich geheim?“
Der Fahrer nickte. „Sehr, ich habe, kurz bevor Sie eingestiegen sind, per SMS erfahren, wo es hingeht.“
„Er scheint Angst zu haben, dass ihm Fotografen die Party crashen“, meinte ich beiläufig.
„Möglicherweise, aber an uns wird es nicht liegen. Wir halten dicht.“ Er warf prüfende Blicke in den Rückspiegel.
Verrückt, dachte ich, als ob wir verfolgt würden.

Nach einer halben Stunde hielten wir vor einem Club, den ich gut kannte, von zahlreichen Events. Die 089-Bar in der Innenstadt. Die komplette Straße davor war abgesperrt, allerdings nur solange die Gäste kamen, erklärte der Fahrer. Ich stieg aus und bedankte mich bei ihm, er schenkte mir ein begeistertes Lächeln und wünschte mir einen schönen Abend. Zudem nahm er mir noch das Versprechen ab, ihm bei der nächsten Gelegenheit zu erzählen, wie die Party gewesen war.
Am Einlass gab ich einem bulligen, aber elegant gekleideten Türsteher meine Einladung, er sah mich prüfend an, mein Name stand auf der Gästeliste, ich wurde abgehakt, meine Karte bekam einen Stempel, mein Handgelenk ein dünnes, silbernes Armband.
Dann ließ er mich passieren und ich stieg die Stufen hinauf zur Terrasse.
Große Heizpilze standen dort zwischen weißen Ledersofas, schwarz gekleidetes Personal schwirrte unauffällig umher und versorgte die Gäste mit Getränken.
Ich entdeckte Jason im Inneren des Clubs, er stand ziemlich weit vorne am Eingang und begrüßte die Gäste.
Ich ging auf ihn zu, langsam drehte er sich zu mir.


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