10.

Um sieben Uhr fuhr ich aus dem Büro nach Hause. Ich sprang unter die Dusche und ließ mit dem heißen Wasser meine Gedanken wegfließen. Das viele Denken war immer schon ein Problem gewesen für mich. Vielleicht sollte ich es an diesem Abend lassen, überlegte ich. Aber, nein, noch nicht.
Ich hüllte mich in frische, weiche Handtücher und ging in mein Schlafzimmer. Ich hinterließ feuchte Tapser auf dem Parkett.
Durch meine verwinkelt geschnittene Wohnung kam ich in den Genuss eines begehbaren Kleiderschrankes, zumindest etwas in der Art. Meine Freundinnen waren alle gelb vor Neid geworden, als sie mein fertig eingerichtetes Schlafzimmer gesehen hatten.
Es war in edlen Grautönen eingerichtet und hatte Halogen-Deckenleuchten, die einen riesigen Spiegel gegenüber vom Bett anstrahlten. Neben dem Spiegel war ein schmaler Durchgang, den ich mit einem weißen Vorhang verdeckt hatte. Dahinter befand sich mein Kleiderschrank, eine kleine Kammer mit vielen Regalen und einer langen Kleiderstange. Der Raum war groß genug, um sich umziehen und herrichten zu können. Ich freute ich mich jedes Mal diebisch, wenn eine meiner Freundinnen zu Besuch war und ich in meinem „Ankleidezimmer“ verschwand, um mich umzuziehen.
Heute stand ich ziemlich lange vor den Regalen und überlegte, was ich anziehen sollte. Ich wusste ja nicht einmal, wohin wir gehen würden, das erschwerte die Auswahl ziemlich. Andererseits hätte er mir doch Bescheid gesagt, wenn wir in ein todschickes Restaurant gehen würden, dachte ich.
Ich entschied mich für den Klassiker, ein schwarzes, elegantes Cocktailkleid, aber unauffällig. Wenn ich es mit einem Schal kombinierte, würde es noch schicker werden, wenn ich ein kleines Jäckchen darüber trug, konnte ich mich damit fast schon in den Burgerking setzen. Sicherheitshalber legte ich mir beides heraus. In aller Ruhe steckte ich mir meine Haare zusammen, dieses Mal hatte ich keine Eile. Dezentes Make-Up, schöne, unauffällige Schuhe. Die gleiche Routine, die ich auch vor Geschäftsterminen hatte. Es kam mir komisch vor. Ich benahm mich, als würde ich gleich den Chef der Allianz-Arena treffen und ihn becircen müssen, mir bei den Verhandlungen entgegen zu kommen. Dabei war dies doch eigentlich Freizeit. Ich bemerkte, dass ich ein wenig nervös wurde.
Ich wischte die Gedanken beiseite und warf einen prüfenden Blick in meinen überdimensionierten Spiegel im Schlafzimmer.
Meine braunen Haare waren schlicht zusammengesteckt, meine blauen Augen strahlten, das Kleid betonte meine ohnehin nicht allzu fehlgeratene Figur vorteilhaft und ließ mich größer wirken, als ich war. Die Schuhe waren gerade so hoch, dass es nicht zu aufreizend wirkte, meine Mutti würde sich unheimlich freuen, wenn sie sehen könnte, wie die Jugend von gestern zum Essen ging. Was hatte sie über die hochhackigen Schuhe, knallengen Hosen und tief ausgeschnittenen Oberteile geschimpft.
Ich seufzte leise bei dem Gedanken an meine Mutter, ich sollte sie vielleicht einmal wieder anrufen.
Es läutete an meiner Wohnungstür. Es war drei vor acht.
Ich öffnete, Jason stand davor.
„Hi“, sagte er und grinste verlegen. „Ich hab dir noch was mitgebracht. Die anderen sind bestimmt schon verwelkt.“
Er zog die Hand hinter seinem Rücken hervor und hielt mir einen kleinen, bunten Frühlingsstrauß entgegen.
„Oh“, murmelte ich, „danke.“ Ich musste dringend an meiner Antwort auf Blumen arbeiten.
Ich nahm ihm den Strauß ab. „Willst du schnell reinkommen?“, bot ich an. „Klar“, antwortete er.
Ich ließ ihn herein und brachte die Blumen in die Küche. Er blieb im Flur stehen und sah sich interessiert um.
„Wo gehen wir denn hin?“, fragte ich, während ich die Blumen anschnitt und in eine Vase stellte.
„Magst du Sushi?“ Er lächelte mich zaghaft an. Er trug einen dünnen, schwarzen Pullover, unter dem ein weißer Hemdkragen hervorblitzte, und dunkle Jeans.
„Ja, sehr gerne.“
„Dann gehen wir Sushi essen. Sonst hätte ich improvisieren müssen.“ Er lächelte wieder.
„Gut, los gehts“, meinte ich und wollte die Tür öffnen, er war schneller, griff nach der Klinke und hielt mir die Tür auf.
„Wo gehen wir hin?“, machte ich einen neuen Versuch, während wir die Stufen hinunterstiegen. Er drehte sich zu mir. „In die Stadt.“
„Und wie kommen wir hin? Mit der U-Bahn?“ Ich hatte mein Ticket in der Wohnung gelassen.
„Nein, ich fahre nicht... mit der U-Bahn.“ Er sah an mir vorbei.
„Und warum?“ Gespannt wartete ich auf die Antwort.
„Das geht nicht, das ist... zu gefährlich. Ich fahre schon eine ganze Weile nicht mehr mit den Öffentlichen. Wegen der Fans. Der Mädchen.“ Er verzog ein wenig das Gesicht.
„Oh“, meinte ich nur. Wir stiegen die Stufen weiter hinab.
„Bestalken die dich? Oder fragen dich nach Autogrammen?“, wollte ich schließlich wissen.
Er lachte. „So was in der Art. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass du von mir noch kein Autogramm wolltest.“
„Was soll ich denn damit? Es mir über mein Bett hängen?“, fragte ich verwundert.
Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“
Wir hatten die Haustür erreicht. „Meistens quatschen sie mich nur voll oder wollen sich mit mir treffen. Erzählen mir, ich wäre ihre große wahre Liebe und so... Aber manchmal versuchen sie sogar, mich anzufassen“, sagte er langsam.
„Wirklich? Warum denn?“
„Weiß ich nicht. Aber es ist ziemlich bizarr, wenn jemand die Hand nach dir ausstreckt, um dich am Arm zu berühren, wenn du vorbeigehst.“
„Einfach so?“ Ich konnte es mir tatsächlich nur schwer vorstellen.
„In großen Menschenmengen bewege ich mich grundsätzlich nicht mehr ohne Bodyguards. Sonst drehe ich durch. Für meinen Bruder ist es noch schlimmer. Der wird von den Fans regelrecht verfolgt.“
„Das habe ich mitbekommen. Wie war das denn auf meiner Party?“
Er lächelte. „Angenehm. Die Leute waren distanziert, aber die richtige Zielgruppe war ja auch gar nicht da. Die Leute waren zu alt.“
Ich musste schmunzeln. „Gehst du deswegen auch mit mir essen?“
„Nein, nicht deswegen.“ Er schüttelte lächelnd den Kopf.
Wir standen vor einem schwarzen, schicken kleinen Audi.
Er öffnete mir die Beifahrertür. „Bitte schön“, sagte er.
Ich stieg ein. Dann stutzte ich.
„Sag mal, du bist doch noch gar nicht...“
„Achtzehn, ich weiß. Aber einen Führerschein habe ich schon, und du bist eben heute meine Fahrbegleitung.“
Entgeistert starrte ich ihn an.
„Hm?“, er runzelte die Stirn. „Hast du was dagegen?“
„Also, das ist nicht wirklich legal“, protestierte ich.
„Das ist das wenigste, was ich mache.“ Er sah nicht so aus, als würde er einen Witz machen.
„Hältst du das für eine gute Idee? Soll ich nicht lieber fahren?“
„Vertraust du mir nicht?“
„Doch, schon.“ Ich sah aus dem Fenster. Das war völlig unvernünftig. Das war hirnrissig.
„In den USA darf ich fahren. Und hier auch bald. In einer Woche. Und es kontrolliert schon niemand. Ich bin ein guter Fahrer.“
„Darum geht es nicht.“
„Sondern? Worum dann?“
„Um das Prinzip. Du kannst doch nicht Auto fahren, wenn du keine Fahrerlaubnis hast.“
„Hab ich doch.“
„Aber nicht alleine.“
„Ich fahre ja auch nicht alleine.“
Ich seufzte und gab frustriert auf.
„Meinst du nicht, dass ich besonders aufpasse, wenn du in meinem Auto sitzt?“ Er warf mir einen intensiven Blick zu. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte und sagte gar nichts.
Er startete den Motor und ich schnallte mich an.

Er fuhr tatsächlich gut. Sehr umsichtig, sehr ruhig. Vielleicht lag es auch an dem Wagen, dass ich mich nicht unsicher fühlte. Genug Knautschzone um uns herum.
„Ist das dein Auto?“, fragte ich, um das abgestorbene Gespräch wieder aufzunehmen.
Er lachte. „Klar, natürlich. Also, ja. Das ist meins. Schick und schnell.“
Ich zog einen Augenbraue hoch, sagte aber nichts dazu.
„Ich hätte eher einen Porsche oder so etwas erwartet.“
„Mein Bruder hat einen. Aber der ist hässlich. Und so unglaublich bonzig.“
„Aber der hat doch wirklich keinen Führerschein, oder?“
Ich dachte, er wäre noch nicht einmal sechzehn gewesen.
„Das hindert ihn nicht daran, zu fahren. Auf unserem Grundstück natürlich“, fügte er hinzu, als ich nach Luft schnappte.
„Er steht auf Autos? Mit Fünfzehn?“
„Meine ganze Familie steht auf hässliche Autos. Mein Vater hat ein paar prollige BMW, meine Mutter fährt sogar so einen Geländewagen von Porsche.“ Er schüttelte den Kopf.
„Dann stehen bei euch im Hof ein paar mehr Autos rum?“
„Hm. Sie haben einen ziemlich treffsicheren schlechten Geschmack. Und wofür meine Mutter einen Geländewagen braucht, muss sie mir auch mal erklären.“
Ich kannte die abscheulichen, überdimensionierten Geländewägen von Porsche. Sie waren unpraktisch, aber dazu waren sie ohnehin nicht gebaut. In erster Linie waren sie zum Protzen da.
„Es ist widerlich“, sagte er leise und warf einen prüfenden Blick in den Rückspiegel.
„Was?“, fragte ich.
„Dass sie sich besser fühlen, wenn sie andere Autos haben als die Nachbarn.“
„Da, wo ihr wohnt, spielt das doch keine Rolle, oder?“
Er lächelte wieder und formulierte spitz ein Wort: „Grünwald.“
„Ich hab ein paar Kunden da, ich weiß.“
„Wir haben nette Nachbarn. Sie haben viel mehr Autos als wir.“
Jetzt musste ich lächeln. Sein Humor war zumindest ungewöhnlich.
„Und du magst Auto fahren?“, wollte ich wissen.
„Ja. Sehr. Ich mag gute, schnelle, schicke Autos. So wie meinen kleinen schwarzen Flitzer.“
„Ich hoffe, du bremst dich beim Fahren. Wäre doch schade, wenn unser aller Lieblingsstar an die Wand klatscht.“
„Nur wenn ich schöne Beifahrerinnen habe“, antwortete er knapp, und ohne zu Lächeln.
Wir befanden uns mittlerweile auf der Maximiliansstraße, mitten in der Innenstadt. Ich war gespannt, wohin wir gingen. Und wo er einen Parkplatz finden wollte.
Er parkte in einer Seitenstraße, sprang aus dem Wagen und öffnete mir die Beifahrertür.
„Wir sind fast da“, meinte er. Endlich lachte er wieder.
Ich stieg aus. Schweigend liefen wir zu einem Restaurant, in einem ziemlich flotten Tempo. Er drehte sich öfters um und beobachtete aufmerksam die Umgebung. Als hätte er Angst, verfolgt zu werden.
Dann betraten wir das Restaurant. Ich war noch nie dort gewesen, ich kannte es nicht einmal.
„Hier gibt es das beste Sushi in ganz München“, erklärte er. „Ich bin gerne hier. Es ist so ruhig.“
Ich verstand sofort, was er meinte. Die Tische standen weit auseinander und waren so angeordnet, dass beinahe jeder Tisch eine gewisse Privatsphäre bot.
Ein Kellner im Anzug kam auf uns zu und grüßte höflich. „Guten Abend“, meinte er zu mir, ich nickte nur. Er wandte sich an Jason. „Herr McCarthy, einen schönen Abend wünsche ich. Bitte.“ Er nahm uns die Mäntel ab und reichte sie weiter, dann brachte er uns an einen Tisch, weitab vom Fenster, neben einem kleinen Springbrunnen, der dezent vor sich hinplätscherte. Jason zog mir den Stuhl zurecht, bevor der Kellner es tun konnte, und setzte sich dann.
„Was möchtest du trinken?“, fragte er mich.
„Grünen Tee“, meinte ich sofort.
„Eine Kennerin“, schloss er.
„Nein, eine Eventmanagerin“, antwortete ich und musste ein wenig Lächeln.
Der Kellner verschwand.
„Stimmt. Was hast du heute gemacht?“ Er hatte sich etwas entspannt und sah mich aus seinen grünen Augen durchdringend an.
„Ich war im Büro und bei ein paar Kunden. Ich habe am Freitag ein etwas kleineres Event, da feile ich noch an der Feinplanung.“
„Und was feilst du da genau?“
„Ganz konkret? Nun, heute habe ich zum Beispiel die Blumen bestellt und Rücksprache mit dem Catering gehalten, ob alles klappt. Das ist wichtig vorher, es kann ja sein, dass eine Lieferung nicht pünktlich kommt. Oder es Probleme mit der Qualität gibt und die Köche umdisponieren müssen. Alles schon vorgekommen.“
„Kochen die dann einfach was anderes?“ Er schien ein wenig verdutzt zu sein.
„Nein, in der Regel nicht, aber dann wird es für sie teurer. Weil sie die Ware von woanders her holen. Und da muss dann wieder das Timing stimmen. Und dafür bin ich da.“
„Du koordinierst das ganze“, schloss er. Ich nickte, „genau.“
„Und welche Veranstaltungen genau betreust du?“
„Alles Mögliche. Aber wenn meine Firma Großveranstaltungen bekommt, mache ich das in der Regel. Das ist aber eher selten. Meistens sind das Firmenevents oder größere Feiern wie runde Geburtstage oder Hochzeiten.“
„Und das lohnt sich? Ich meine, ich kann mir nicht vorstellen, dass so viele Menschen ständig Partys feiern.“
„Oh, doch, unsere Agentur kann sich vor Aufträgen kaum noch retten. Es sind viele Unternehmen dabei, aber auch Privatkunden. Allerdings in der Regel etwas wohlhabendere, die große Partys feiern. Meistens so ab hundertfünfzig Gästen.“
„Ich habe für meinen achtzehnten keinen Eventmanager angeheuert, das macht meine Schwester“, meinte er und grinste.
„Du hast doch nicht vor, mit hundertfünfzig Leuten zu feiern, oder?“, fragte ich verblüfft.
„Nein, nicht ganz. Aber es wird gut werden. Und es sind ein paar mehr als hundertfünfzig.“ Er sah ein wenig schelmisch aus.
„Was hast du vor?“
Der Kellner trat an unseren Tisch und brachte den Grünen Tee. Er wollte etwas sagen, doch Jason kam ihm zuvor, blickte ihn offensiv an und nickte.
Der Kellner verschwand wieder.
„Nichts großes. Ich habe einen Club gemietet und einen ziemlich coolen DJ aus New York. Es gibt stilvolle Drinks und ich werde da Feiern, bis sie mich raustragen.“ Er grinste. Ich zog die Augenbrauen hoch.
„Na, hoffentlich hast du am nächsten Tag nichts vor“, bemerkte ich trocken.
„Nein, nur der Rückflug nach England.“
„Warum das?“
„Ich habe doch da den Dreh, ab morgen.“
„Ah ja, stimmt. Hast du gesagt. Was genau machst du da?“, wollte ich wissen.
„Es ist im Grunde ziemlich öde, ein Actionfilm.“
„Warum ist ein Actionfilm öde?“ Gespannt sah ich ihn an.
„Weil die sehr langweilig sind zu Drehen. Die meistens Stunts macht der Stuntman, und die anderen Einstellungen dreht man unendlich oft und in kleinen Sequenzen. Das macht keinen Spaß.“
„Wie darf ich mir das denn vorstellen?“
„Na ja, ich trete dreißig Mal die gleiche Tür ein, bis es irgendwann passt und der Regisseur zufrieden ist. Aber das Zertrümmern des Sets macht in der Regel Spaß“, fügte er verschmitzt lächelnd hinzu.
„Und dann fliegst du für deine Geburtstagsparty zurück nach München?“
„Nur über das Wochenende. Am Montag fliege ich zurück, am Dienstag geht’s mit den Dreharbeiten weiter.“
„Und wie lange dreht ihr dann an diesem Film?“
„Sieben Monate.“
„Sieben Monate?“ Ich schien entsetzt zu sein, denn er fing erneut an zu lachen.
„Das ist aber schon besonders lang. Bei anderen Filmen, die nicht so viele komplizierte Einzeleinstellungen haben und Spezialeffekte, ist die Drehzeit kürzer. Aber ein paar Monate ist man in der Regel schon beschäftigt, das ist bei Kinofilmen immer so. Pro Tag drehen wir ungefähr eine Minute im späteren Film.“
Der Kellner schwebte heran und brachte die Suppe.

Das Sushi schmeckte fantastisch, Jason hatte gut gewählt. Andererseits, wenn er öfter hier war, wusste er schon, was besonders gut war.
Wir unterhielten uns, es war lustig und entspannt, während wir uns durch die immense Auswahl an Fisch und Gemüse aßen.
Er fragte mich viel über meine Arbeit aus und erzählte bereitwillig aus seinem Leben. Es überraschte mich etwas, denn wer garantierte ihm denn, dass ich nicht am nächsten Morgen zur Gossip oder der Bild-Zeitung rannte und ihnen haarklein jedes Detail erzählte?
Wir waren beim Dessert angelangt, als ich ihm von dem Foto von uns beiden auf Gossip-Online berichtete. Er schien ein wenig wütend zu sein und schimpfte über die Presse, die versuchte, jeden Schnipsel aus seinem Leben auszuschlachten. Als ich ihn beschwichtigte, dass das Bild wieder von der Webseite verschwunden war, war er erleichtert, aber keinesfalls zufrieden. Die beiden schienen wirklich Probleme mit den Journalisten zu haben, vor allem sein Bruder. Er wurde regelrecht gejagt.
„Mein aktueller Drehort wird geheim gehalten, die Produzenten haben Angst, dass sie sonst Probleme mit Fans kriegen, die mir eh schon überall auflauern.“
„Ist es so schlimm?“ Ich musste an seinen Kommentar zur U-Bahn denken.
„Es variiert stark. Je nachdem, wer von uns beiden gerade die Nummer eins ist und den aktuelleren Film draußen hat. Jetzt im Moment ist es wieder extrem krass, seit zwei Wochen etwa, aber das legt sich in ein paar Wochen wieder. Dann sind es nur noch die Hardcore-Fans, die einen verfolgen, und die kann man abschütteln. Außerdem bin ich in England gut abgeschirmt, da habe ich meine Ruhe.“
„Dann ist es im Ausland als nicht so?“
„Teilweise noch schlimmer. Die Teenies in Großbritannien oder in den USA sind eine wahre Landplage, und erst die Zeitungen. Kein Vergleich zu den Deutschen. In London haben zwei Mädchen versucht, nachts in mein Hotelzimmer einzubrechen.“
Ich schwieg und biss mir auf die Lippe. Er tat mir Leid, es schien schlimm für ihn zu sein. Andererseits lieferte er den Fans und der Presse auch genug Material, über das sie herziehen konnten. Seine Skandale und Allüren boten genug Stoff, um wochenlang ausgeschlachtet zu werden.
„Nun ja, es ist ein so schöner Abend, wir sollten uns über etwas anderes unterhalten.“ Er strahlte mich an, seine Augen waren unergründlich.
„Und worüber möchtest du dich mit mir unterhalten?“
„Ich weiß, dass du alleine lebst“, begann er vorsichtig, „aber, hast du eigentlich einen Partner? Einen Freund?“ Das letzte Wort platzte fast aus ihm heraus.
In meinem Kopf begann es zu arbeiten.
Er sah mich gespannt an, seine Hände lagen auf der Tischkante und waren etwas verkrampft, weil sich seine Finger um die Serviette krallten.
„Nein“, meinte ich langsam. „Nein, habe ich nicht.“
Er löste sich unmerklich. „Warum nicht?“
„Na, du stellst Fragen. Weil es im Moment niemanden gibt, den ich will und der mich auch will?“
„Es gibt also genug Männer, die dich wollen würden?“
Ich verzog das Gesicht. „Das ist bei den wenigsten Frauen ein Problem, denke ich“, gab ich knapp zurück.
„Nein, bei dir bestimmt nicht“, überlegte er. Er sah mich wieder unbestimmt an, doch sein Blick durchbohrte mich fast.
„War das ein Kompliment?“, wollte ich wissen.
„Nein, das würdest du merken. Das war lediglich eine nüchterne Bemerkung“, antwortete er und lächelte charmant über seine Teetasse hinweg.
„Ach so.“
„Aber du siehst bezaubernd aus“, sagte er beiläufig.
„So war das nicht gemeint“, zischte ich entrüstet.
„Ich weiß, aber das wollte ich dir den ganzen Abend schon sagen. Jetzt habe ich mir eben den unpassendsten Zeitpunkt dafür ausgesucht.“
Ich stöhnte und verdrehte die Augen.
Er schnappte sich schnell über den Tisch hinweg meine Hand, ich zuckte zusammen, dann sah ich in sein Gesicht. Seine grünen Augen funkelten im Kerzenlicht, er blickte mir direkt in die Augen und sagte leise: „Du siehst bezaubernd aus.“
„Danke“, murmelte ich und zog meine Hand zurück. Er ließ los.
Eine ganze Weile lang sprachen wir nicht, während ich mir mein Gehirn zermarterte, was das gerade gewesen war.
Schließlich entschuldigte er sich kurz und stand auf.
Seine Manieren waren jedenfalls fast perfekt.
Als er nach ein paar Minuten zurückkam, sah er wieder entspannter aus.
Ich war noch immer etwas verwirrt, er fragte mich, ob er mich nach Hause fahren sollte. Ich willigte widerstrebend ein, wir verließen das Restaurant und gingen zum Wagen.
Er hielt mir wieder die Beifahrertüre auf und sah mich schweigend ein paar Augenblicke lang an, als er im Auto saß. Dann schüttelte er den Kopf und fuhr los.
„Was hast du?“, fragte ich vorsichtig. Er lächelte und bremste sanft ab, als wir an eine rote Ampel kamen.
„Ich werde einfach nicht schlau aus dir“, antwortete er leicht zerknirscht. „Oder aus mir, vielleicht.“
„Warum?“ Verwundert sah ich ihn an.
Er seufzte. „Es war ein sehr schöner Abend. Es ist angenehm, sich mit dir zu unterhalten. Ich mag dich.“ Er richtete den Blick vor sich auf die Straße und fuhr an.
Aha, dachte ich.
Nach fünfzehn Minuten parkte er vor meiner Haustür. Keiner von uns machte Anstalten, aussteigen zu wollen.
Er sah mich wieder durchdringend an, als schien er nachzudenken. Dann lächelte er.
„Darf ich dich zu meiner Geburtstagsfeier einladen?“
Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
„Ich weiß nicht so recht...“, begann ich.
Sein Gesicht versteinerte sich.
„Du musst nicht...“
„Nein, verstehe mich nicht falsch, ich würde gerne kommen. Nur, ich bin mir nicht sicher, ob das eine so gute Idee ist. Ich meine, da sind doch deine Freunde, und die sind bestimmt alle ganz anders als ich, außerdem kenne ich dort doch gar niemanden und ich will nicht, dass du dich für mich verantwortlich fühlst oder verpflichtet. Es ist schließlich deine Geburtstagsparty.“
Er griff wieder nach meiner Hand, ich ließ ihn.
„Vera“, sagte er, ruhig. „Da sind meine Freunde, aber du bist eine von meinen Freunden. Alle Menschen sind anders. Und du kennst zumindest einen von ihnen, Nina. Und keine Sorge, ich denke nicht, dass du mich auf meiner Party als Babysitter brauchst.“
In meinen Ohren rauschte es, meine Hand kribbelte. Was zum Teufel sollte ich nur sagen?
„Gut“, würgte ich hervor.
„Ich schicke dir eine Einladung und lasse dich abholen. Ich kann an dem Abend leider nicht selbst herkommen, das geht nicht.“
Ich nickte, er starrte mich an. Er hielt noch immer meine Hand und hatte sich weit zu mir gebeugt.
Ein Schaudern ging durch meinen Körper, als mir bewusst wurde, wie nah er mir war.
Er seufzte leicht. „Bis Sonntag“, meinte er dann und drückte meine Hand leicht.
„Bis Sonntag“, antwortete ich wie betäubt und stieg aus.
Langsam ging ich zu meiner Haustür und sperrte auf. Als ich mich im Hauseingang umdrehte, sah ich, wie er mich durch die Frontscheibe beobachtete. Er winkte mir zu, dann fuhr er los.
Ich war fix und fertig mit den Nerven und schleppte mich schwer atmend die Stufen hinauf in meine Wohnung.


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