Sonntag Morgen

Sie senkte ihren Kopf und nahm ihre Tasse. Sie trank einen Schluck Kaffee, spürte, wie die warme Flüssigkeit sich einen Weg durch ihren Körper bahnte. Dann stellte sie die Tasse ab und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Ihr Blick glitt über den Tisch zu ihm, weiter auf die Bäume, auf die Blumenbeete. Große und kleine Blüten, helle und dunkle Farben mischten sich zu einem Meer des Sommers in ihrem Garten, den sie so sorgsam pflegte. Der Rasen war seit dem Frühjahr nicht mehr gemäht worden, denn sie hatte Sommerblumen ausgesät, die sich nun an Schönheit und Farbenpracht gegenseitig überboten. Leuchtend roter Klatschmohn, dunkle Kornblumen, hellblaue Lilien, dazwischen Gänseblümchen und Löwenzahn. Sie liebte diese Farben. Hinter den weißen Margeriten stand ein dunkelroter Haselnussstrauch. Sie ließ dieses Bild auf sich wirken, auf das sie so lange hingearbeitet hatte, es erfüllte sie mit Ehrfurcht und stimmte sie glücklich.
„Wie wunderschön die Wiese ist“, sagte sie.
„Mhm“, brummte er und sah nicht einmal hinter seiner Zeitung hervor.
Sie senkte ihren Kopf.
„Kannst du es dir nicht einmal ansehen? Willst du nicht für einen kurzen Moment die Börsenzahlen vergessen und nur einen Blick auf die Blumen werfen?
Weißt du denn überhaupt, wann du dir das letzte Mal den Garten angesehen hast? Wann du das letzte Mal durch die Beete gegangen bist, und dich unter die großen Sonnenblumen gestellt hast, wie du das früher getan hast? Weißt du eigentlich noch, was für eine Farbe Sonnenblumen haben?“
Sie betrachtete gedankenversunken den Honig im Glas. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit wurde vom Sonnenlicht durchstrahlt und schien fast zu pulsieren, zu leben.
„Wann hast du mich das letzte Mal beim Frühstücken angesehen? Einmal diesen Sommer? Und wie viele Gelegenheiten hattest du dazu? Wie viele Sonntage verbringen wir hier? Hast du bemerkt, dass ich das weiße Leinenkleid trage, dass du früher immer so sehr mochtest?“
Eine Schale Erdbeeren stand auf dem Tisch. Die blaue Glasschale leuchtete, die dunkelroten Erdbeeren darin verströmten einen zarten Duft.
Es war heiß, nur ein kleiner Windhauch brachte ab und zu die Blüten zum Wiegen und ließ die dunkelgrünen Blätter sanft rauschen.
Ein zerkrümeltes Croissant lag auf seinem Teller, ein Messer daneben, an dem ein Rest Honig klebte. Ab und zu tropfte ein kleiner, gelber Tropfen auf die weiße Leinentischdecke. Sie würde sie gleich nach dem Frühstück einweichen, waschen und bügeln müssen.
An seiner Kaffeetasse hingen eingetrocknete Tropfen. Er nahm sie, trank einen Schluck und stellte sie wieder auf den Unterteller, ohne einmal hinter seiner Zeitung hervorzusehen.
Es gab ein kratzendes, unangenehmes Geräusch.
„Ich werde mich von dir trennen. Ich werde noch heute meinen Koffer packen und zu meiner Schwester ziehen, ich ertrage deine Gleichgültigkeit schon viel zu lange. Ich werde dich verlassen und gehen, und ich werde nicht mehr zurückkommen. Ich werde vier Wochen bei ihr bleiben, und wenn ich wieder komme, bist du aus dem Haus ausgezogen. Ich will wieder leben, wieder geliebt werden.“
Tiefrot leuchtete die Marmelade im Glas. Sie war inzwischen warm geworden, wie an jedem Sonntag.
„Ich verlasse dich.“
Doch sie schwieg.
„Wie wunderschön die Wiese ist“, dachte sie.

Caroline Schleibinger, Mai 2007


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